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Diagnose Vogelgrippe: 150 Helfer proben den Alarmfall

Landesweit erste Übung nach Auftreten der Krankheit in Europa

Von Christian Althoff
Rahden (WB). Vor vier Wochen hatte die Vogelgrippe Europa erreicht. Jetzt organisierte der Kreis Minden-Lübbecke als erste Behörde Nordrhein-Westfalens eine entsprechende Großübung. Eingesetzt waren am Samstag 150 Kräfte von Feuerwehr, THW, Polizei, DRK, Kreis- und Stadtverwaltung.
Am Seil werden Nachrichten zur Einsatzleitstelle in den ersten Stock gezogen. Foto: Althoff
Veterinärin Dr. Heidrun Strauss-Ellermann vor Ort. Rainer Gerding empfängt in der mobilen Zentrale Funksprüche aus Rahden. Foto: AlthoffFeuerwehrmänner errichten auf der Straße vor dem Hof ein Duschzelt. Foto: Horst
»Unsere Weserniederungen sind Überwinterungsgebiete für Saat- und Blessgänse aus Osteuropa«, erklärte Landrat Wilhelm Krömer. Deshalb bestehe für den Kreis Minden-Lübbecke, in dem 2490 Geflügelhalter mehr als eine Million Tiere besitzen, ein erhöhtes Risiko. Kreisveterinär Dr. Egbert Veltmann leitete die Übung: »Im Ernstfall müssen wir die Geflügelpest in kürzester Zeit stoppen. Denn spätestens am dritten Tag inspizieren uns Experten der EU, und wenn die mit unseren Maßnahmen nicht zufrieden sind, wird NRW mit einem Handelsverbot belegt. Dann sind Tausende von Arbeitsplätzen in Gefahr.«
Die Übung hatte am frühen Morgen begonnen:6 Uhr: Kreisveterinär Egbert Veltmann erhält einen Anruf aus dem NRW-Landwirtschaftsministerium. Die Niederlande haben mitgeteilt, dass zwei Monteure einer Lüftungsbaufirma, die in einem niederländischen Geflügelpestbetrieb gearbeitet hatten, vor vier Tagen mit der selben Arbeitskleidung im Stall des Geflügelzüchters Wilhelm Kokemoor in Rahden gewesen sind.6.05 Uhr: Bäuerin Heidrun Harder-Kokemoor bestätigt dem Kreisveterinär am Telefon, dass in der vergangenen Nacht etwa 4000 Tiere verendet sind.6.25 Uhr: Der Landrat ordnet die Bildung eines Krisenstabes und einer Einsatzleitstelle im Mindener Kreishaus an. Zum Krisenstab gehören im Wesentlichen die Amtsleiter seines Hauses.6.45 Uhr: Veterinärin Dr. Heidrun Strauss-Ellermann trifft mit einer Kollegin auf dem Hof ein. Von 38 000 Masthähnchen sind 6000 verendet, die übrigen wirken apathisch. Die Landwirtsfamile wird angewiesen, Hund und Katzen im Haus zu behalten. Wer den Hof verlässt, sollte vorher duschen und sich umziehen. Zwei tote Hähnchen werden von einem Kurier ins Veterinäruntersuchungsamt nach Detmold gebracht.7.30 Uhr: Polizisten haben die Straßen um das Gehöft gesperrt. Vor dem Hof bauen Kräfte des THW Lübbecke eine Desinfektionsanlage für Fahrzeuge auf. 100 Meter weiter errichten Brandinspektor Kurt Reineke und sein ABC-Zug aus Porta Westfalica ein beheiztes Zelt, in dem sich jeder, der den Hof verlässt, umziehen und duschen muss. Das desinfizierende Duschmittel hat der Kreis bereitgestellt, angepasst an den Geflügelpesterreger.7.40 Uhr: Vor dem Kreishaus in Minden hat die Berufsfeuerwehr ihre fahrbare Kommandozentrale in Stellung gebracht und einen Antennenmast aufgebaut. Hier gehen die Funksprüche der verschiedenen Hilfsorganisationen ein, werden notiert und an die Einsatzleitstelle weitergegeben.8.15 Uhr: Auf einer Leinwand im großen Sitzungssaal des Kreishauses, wo die Einsatzleitung ihr Quartier aufgeschlagen hat, erscheint eine Karte des Einsatzgebietes. Rund um den betroffenen Hof ist ein Kreis mit drei Kilometer Radius geschlagen - die Sperrzone. Ein Computerprogramm wirft die Adressen der Geflügelhalter aus, die in diesem Gebiet leben. Zehn Kuriere der Kreisverwaltung machen sich auf den Weg zu diesen Höfen und überbringen Anordnungen, dass keine Tiere den Betrieb verlassen oder aufgenommen werden dürfen.10.15 Uhr: Im Krisenstab, der einen Raum neben der Einsatzleitung sitzt und politisch-administrative Entscheidungen zu treffen hat, geht der Anruf eines besorgten Schulleiters aus Rahden ein. Er will wissen, ob Montag der Unterricht stattfinden kann. Dr. Sabine Kleve-Niemann, Leiterin des Kreisgesundheitsamtes, hat keine Bedenken: Das Virus stellt zunächst keine Gefahr für Menschen dar. Geflügelhaltern soll es aber freigestellt werden, ihre Kinder zu Hause zu behalten, wenn sie befürchten, dass die Schüler das Virus in den eigenen Betrieb schleppen.10.45 Uhr: Vor dem Hof in Rahden trifft ein geschlossener Lastwagen der Tierkörperbeseitigungsanstalt Belm ein, den die Einsatzleitung angefordert hat.11 Uhr: Vor Ort fehlen den Veterinärinnen Einmal-Schutzanzüge. In der mobilen Kommandozentrale der Feuerwehr notiert Rainer Gerding den entsprechenden Funkspruch aus Rahden und steckt den Zettel in eine Plastikbox, die neben dem Feuerwehrwagen hängt. An einem Seil zieht ein Mitarbeiter der Einsatzleitung den Kasten nach oben in den ersten Stock des Kreishauses - so ersparen sich die Männer 60 Treppenstufen.13.30 Uhr: Vor dem Hof stoppt ein Tanklastwagen des Unternehmens »Air Liquide« aus Düsseldorf. Er hat acht Tonnen flüssigen Kohlendioxyds geladen, mit dem die Vögel tierschutzgerecht getötet werden sollen. Mitarbeiter legen Schlauchleitungen zu den Ställen und schließen die Lüftungsgitter. Im Ernstfall würde jetzt das minus 80 Grad kalte Mittel einen 60 Zentimeter hohen Schneeteppich im Stall bilden, der zu 80 Prozent aus Kohlendioxyd besteht. Die Vögel würden bewusstlos und wären zehn Minuten später tot.
Landwirtin Heidrun Harder-Kokemoor: »Wir haben unseren Hof gerne für die Übung zur Verfügung gestellt. Wir glauben zwar nicht, dass uns die Geflügelpest erreicht, aber es ist beruhigend, den Ernstfall einmal durchgespielt zu haben.«

Artikel vom 07.11.2005