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Der Wettkampf der Wissenschaften

Von Esther Steinmeier
Berlin (WB). Sie sind keine Gladiatoren. Ihre Disziplin ist ihr Geist. Ihre Motivation ist die Neugierde. Sie sind Wissenschaftler. Und sie sind nominiert worden von der Jury des Deutschen Zukunftspreises, weil man glaubt, dass sie unsere Zukunft besser machen.

Da ist die Kamera, die ein Ohr hat, der Computertomograph, der dem Herztod voransprintet, der Motor, der uns weiter bringt und die Pflanze, die sich wehrt. Innovationen in der Wissenschaft gehen verschiedene Wege. In diesem Jahr geht es um Optimierung: höher, schneller, weiter, stärker.
Bundespräsident Horst Köhler, Schirmherr des mit 250 000 Euro dotierten Deutschen Zukunftspreises, hat über die nominierten Wissenschaftlerteams gesagt: »Ihre Projekte verbessern unser Leben, ihre Entwicklungen machen aus Zukunft Gegenwart.« Auffallend gegenwärtig ist die Forschung der vier nominierten Projekte in diesem Jahr tatsächlich: Ihre Ergebnisse sind als Produkte auf dem Markt etabliert, und es wurden viele Arbeitsplätze geschaffen. Am Freitag, 11. November, (ZDF, 22.20 Uhr) in Berlin wird die wichtigste Innovation ausgezeichnet.
Hoch hinaus müssten Gerd Heinz, Dirk Döbler und Swen Tilgner, wenn sie den Geräuschen des Alltags entfliehen wollten. Im Segelflieger lautlos über den Wolken schwebend, könnten sie auch wunderbare Fotos von der Erde machen. Ihre Bilder machen die Forscher aber zumeist am Boden. Dort unten rasselt, klappert, knackt und klopft es überall. Die Wissenschaftler von der Gesellschaft zur Förderung angewandter Informatik (GFaI) in Berlin fotografieren den Schall.
Ihre akustische Kamera hat neben einer normalen Linse eine Anordnung von Mikrofonen, die die Schallwellen aufnehmen. Wie bei einem Fotoapparat wird ein Auslöser betätigt, mit dem so ein akustisches und ein optisches Bild von der Geräuschkulisse und den verursachenden Objekten festgehalten wird. Mit Hilfe einer speziellen Software wird eine Schallkarte erstellt, die mit dem optischen Bild zusammengeführt wird. Dann sieht man, wo es wie laut ist: Leisere Bereiche sind blau dargestellt, die Lärmquellen rot. »Wir haben versucht, das Allereinfachste zu machen, sowohl vom Verfahren als auch von der Konstruktion her«, sagt Gerd Heinz.
Lärmmessung ist nur ein Gebiet, auf dem diese Entwicklung nützlich ist. Insbesondere für die Automobilindustrie ist das bildgebende Verfahren interessant für die Qualitätssicherung, aber auch für das Sounddesign. Mehr als 40 dieser akustischen Kameras wurden bereits angefertigt und kommen über ein Dienstleistungsnetzwerk zum Einsatz.
Für die Berliner Wissenschaftler indes ist selbst der Höhenflug im Segelflieger nur scheinbar lautlos: Sogar das Pfeifen des Windes hinterlässt Spuren auf dem Schallfoto.
Bei einem Unfall mit Schwerverletzten oder einem Herzinfarkt muss alles schnell gehen. Jede Sekunde zählt bei Erstversorgung, Diagnose und Behandlung. Im Wettlauf gegen die Zeit gehören die Computertomographen von Siemens, in denen ein neuartiger Röntgenstrahler namens »Straton« arbeitet, zur ganz schnellen Truppe. In 20 Sekunden kann der ganze Körper gescannt werden, in zwölf bis 20 Sekunden wird das schlagende Herz aufgenommen. In 400 Kliniken weltweit werden Patienten mit dem neuen CT untersucht. Rund 100 interne Arbeitsplätze wurden geschaffen, zusätzlich 150 in der Zulieferindustrie.
Peter Schardt, Karin Söldner und Wolfgang Knüpfer von Siemens in Erlangen haben dem herkömmlichen Röntgenstrahler Beine gemacht. Gelungen ist ihnen das, indem sie in eine neue Richtung gedacht haben: »Höhere Leistung hieß in der Röntgenröhrentechnik bisher immer größer und schwerer«, erklärt Peter Schardt. Anoden im Inneren der Röntgenröhre speichern die bei der Erzeugung von Röntgenstrahlen entstehende Wärme. Je höher die Leistung der Röntgenröhre ist, umso größer muss auch die Anode sein, und entsprechend länger braucht sie, um abzukühlen - der Arbeitsablauf des Computertomographen wird langsamer. Die Siemens-Entwickler haben die Konstruktion ihrer Straton-Röntgenröhre völlig anders aufgebaut. Statt der Anode dreht sich hier die Röhre um die eigene Achse, die Anode als Teil der Röhrenhülle wird direkt gekühlt und die Wärme dadurch rund 100-mal schneller abgeführt, die diagnostischen Arbeitsabläufe werden kürzer und effizienter.
Die entstehenden Bilder sind auch präziser: »Wir können den Elektronenstrahl 5000 mal in der Sekunde zwischen zwei Positionen hin- und herspringen lassen, gewinnen dadurch Bildschärfe und reduzieren drastisch Bildstörungen. Konkret: Der Arzt hat ein klares Bild von der Anatomie. Krankheiten werden früher erkannt«, so Peter Schardt. Er und sein Team sind überzeugt, dass mit ihrer Entwicklung der Sprint um das Leben häufiger gewonnen wird.
Kraft und Körperbeherrschung sind die Voraussetzungen, um Speer oder Kugel in weite Ferne zu schleudern. Beides vereinigt der Piezo-Injektor in sich. Eine immense Kraft steuert mikrogenau die Ventile im Einspritzsystem der Dieselmotoren. Für die Nutzung des Piezo-Effektes (piezein kommt aus dem Griechischen und heißt drücken) sind für den Deutschen Zukunftspreis erstmals Forscher aus zwei Unternehmen nominiert worden: Friedrich Boecking von Bosch (Stuttgart), Klaus Egger sowie Hans Meixner von Siemens (München).
Der Piezo-Effekt beschreibt eine Materialeigenschaft spezieller Keramiken, die sich unter elektrischer Spannung ausdehnen. Die piezoelektrische Eigenschaft wird genutzt, um den Öffnungs- und Schließmechanismus der Einspritzventile zu steuern. Durch die Schnelligkeit und das hohe Kraftvermögen der Piezosteller kann die Dieseleinspritzung auch bei höchsten Drücken (1600bar) präziser, schneller, feiner dosiert dargestellt werden. Eine Reduzierung des Kraftstoffverbrauchs um drei Prozent und der Schadstoffemissionen um 20 Prozent, darunter auch der Rußpartikel, sowie eine beträchtliche Geräuschreduzierung sind die Folge.
Seit 2000 werden Piezo-Injektoren in Großserie hergestellt und in Dieselmotoren eingesetzt. Von 2006 an werden auch Benzin-Direkteinspritzer mit Piezo-Technik ausgerüstet. 17 400 Arbeitsplätze entstanden weltweit im Umfeld der Injektor-Produktion. Damit ist den Wissenschaftlern von Bosch und Siemens ein weiter Wurf gelungen.
Manche Pflanzenliebhaber sprechen mit ihrem Grünzeug oder spielen ihm Musik vor. Hubert Sauter und Klaus Schelberger trainieren ihre Schützlinge auf anderen Wegen. Das von den beiden BASF-Forschern aus Ludwigshafen und ihrem Team entwickelte Fungizid F 500 basiert auf einem Wirkstoff aus der Natur, dem Strobilurin A, entwickelt von einem Waldpilz, dem Kiefernzapfenrübling. Er benutzt diesen Stoff quasi als Boxhandschuhe, um sich gegen andere, für ihn schädliche Pilze, zu wehren. 2002 wurde das F 500 von BASF auf den Markt gebracht. 200 Arbeitsplätze entstanden in der Produktion.
Die Weiterentwicklung des Grundstoffs brachte Überraschungen für das Team um Hubert Sauter - der übrigens einige Jahre seiner Schulzeit am Ratsgymnasium in Minden verbrachte - und Klaus Schelberger: Die behandelten Pflanzen sahen grüner, gesünder aus. Die Wissenschaftler entdeckten, dass F 500 noch weitere Eigenschaften hat: »Unser Wirkstoff greift in pflanzenspezifische Prozesse ein. F 500 erhöht die Photosynthese und unterstützt die Nitratreduktase, die dafür sorgt, dass der Stickstoff aus dem Boden besser verwertet werden kann. Ein anderer pflanzeneigener Prozess, der begünstigt wird, ist die Hemmung der Ethylenproduktion. Das Stresshormon Ethylen lässt Pflanzen vorzeitig altern, die Hemmung führt dazu, dass die Pflanze länger produktiv ist.«
Als besonders wirksam stellte sich das Fungizid bei der Bekämpfung des »Asiatischen Sojarosts« heraus, einer Pilzkrankheit, die ganze Ernten vernichtet. Der Doppeleffekt des F 500-Wirkstoffs ist eine überzeugende Waffe gegen den Schädling: Zur Abwehrkraft gesellt sich ein gesundes »Doping« für mehr Vitalität. Hubert Sauter und Klaus Schelberger haben ihren Pflanzen beigebracht, wie man sich erfolgreich zur Wehr setzt.
Neugier, Kreativität, Disziplin und Teamfähigkeit sind die Eigenschaften, die nach Ansicht des Bundespräsidenten ein Forscher, der Zukunft gestaltet, haben sollte. Die nominierten Wissenschaftler haben einmütig eine weitere benannt: Durchhaltevermögen. Sie glauben an ihre Idee. Sie wissen, sie können scheitern. Trotzdem machen sie weiter. Warum? Fußballstars verdienen mehr.

Artikel vom 09.11.2005