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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


Keine Geschichte der Bibel erregt mehr Unwillen und fordert zu schärferem Widerspruch heraus als die, in der Gott Abraham diesen grausigen Befehl gibt: »Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du liebhast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde« (1. Mose/Genesis, 22, 2).
Nach überlangem Warten war das Unwahrscheinliche doch noch geschehen: Ein eigener Sohn hatte das Licht der Welt erblickt, zudem das Kind einer ganz besonderen Verheißung. Denn neben der natürlichen Liebe seiner Eltern hing an ihm, an Isaak, die Zusage Gottes, aus den Nachkommen Abrahams werde dermaleinst ein großes Volk werden.
Weil diese Erzählung menschlichem Empfinden so krass zuwiderläuft, hat es denn auch nicht an Versuchen gefehlt, sie zu entschärfen und auf diese Weise erträglicher zu machen. Da am Ende nicht der Sohn, sondern lediglich ein Widder sein Leben lassen muss, hat man vermutet, das Ganze sei in Wirklichkeit rein religionsgeschichtlich zu verstehen und markiere die Ablösung von Menschen- durch Tieropfer in ferner Vergangenheit. Ebenso hat man angenommen, Abraham hätte von Anfang an längst gewusst, Gott werde es nicht bis zum Äußersten kommen lassen, sondern zu guter Letzt selbst eine glückliche Wendung herbeiführen.
Der Philosoph Immanuel Kant war sogar der Meinung, Abraham hätte nur eine »vermeintliche Stimme« gehört, aber in Wirklichkeit nicht einen Befehl Gottes vernommen. Denn nicht einmal Gott könne sich über das von ihm selbst erlassene Sittengesetz - »Du sollst nicht töten« - hinwegsetzen.
Die Geschichte will jedoch so verstanden werden, wie sie ist. So schmerzlich das auch sein mag - es gilt, darauf zu verzichten, sie in irgendeiner Form zu glätten oder menschlichen Empfindungen anzupassen. Erst dann beginnt sie zu sprechen. Allerdings, dabei bleibt es, enthält sie keine mild erbauliche Botschaft, sondern mutet eine Härte und Spannung zu, die erst einmal auszuhalten und nicht, auch nicht auf vermeintlich frommem Wege, aufzulösen ist.
»Du sollst dir (von Gott) kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen« heißt es an anderer Stelle (2. Mose/Exodus, 20, 4). Der Sinn dieses Bilderverbotes ist der: Die Wirklichkeit Gottes geht in menschlichen Idealen, Gedanken, Empfindungen und eben auch Moralvorstellungen niemals auf. Er erweist sich keineswegs nur als der sogenannte »liebe Gott«. Er handelt eben auch so, dass kein Mensch ihn zu begreifen vermag, weil er seine Motive vor ihm verbirgt. Er kann unter der Maske des ärgsten Feindes erscheinen. Warum das so ist, bleibt Gottes Geheimnis, und zwar so lange, bis Gott selbst darin Einsicht gewährt.
Diese gefährlichen Züge, dieses verzehrende Feuer, das von Gott ausgeht, werden jedoch nur allzugern aus seinem Wesen getilgt oder als altertümliche und damit überholte Vorstellungen abgetan - zugunsten eines Gottesbildes, mit dem auch der aufgeklärte Zeitgenosse angeblich keine Schwierigkeiten mehr hat. Diesem jedoch wird damit wiederum eben nur ein »Bild« angeboten. Vielleicht ist es nicht einmal mehr als eine kitschige Postkarte.
Der Preis indessen, der für solchen vermeintlichen Preisnachlass entrichtet werden muss, ist unvermutet hoch. Denn von dem Gott, den man derart domestiziert und den eigenen Gedanken angepasst hat, sind nun auch keine Überraschungen mehr zu erwarten, keine Wunder, keine neuen Anfänge. Vor allem versiegt die Glut seiner Liebe, die nur der zu spüren vermag, der sich dessen bewusst ist, darauf auch nicht den geringsten Anspruch zu haben. Abraham aber bekommt die Glut dieser Liebe darin zu spüren, dass er sich der Fremdheit Gottes aussetzt.
Ein seit Jahrzehnten an den Rollstuhl Gefesselter weiß es ebenfalls: »Wer bei seinem Reden von Gott (diese Erzählung) weglässt, hat unvollständig von Gott gesprochen ... Es mag sein, dass manche Behinderte zu diesem völlig undurchschaubaren Gott vom eigenen Erleben her einen leichteren Zugang haben als zu einem Gott, bei dem alles klar und einsichtig ist.«

Artikel vom 05.11.2005