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Gute Geschäfte unterm Halbmond

1200 deutsche Firmen in der Türkei

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). Die Wirtschaft in der Türkei boomt, aber das Land ist gespalten zwischen Modernisierern und Traditionalisten. Die Diskrepanz zwischen Ökonomie und Politik hat gestern Abend der deutsche Botschafter in Ankara, Wolf-Ruthart Born, in Bielefeld betont.

Beim Außenwirtschaftsforum der Industrie- und Handelskammer Ostwestfalen zu Bielefeld verwies der Botschafter auf ein Wirtschaftswachstum von neun Prozent im vergangenen Jahr. »Die Türkei hat exzellente, ehrgeizige und gut organisierte Unternehmer«, sagte Born und stellte die besonderen Beziehungen zu Deutschland heraus.
Es engagierten sich 1200 Firmen am Bosporus, und das durchweg mit Erfolg. »Mir ist kein Unternehmen bekannt, das unzufrieden wäre«. Auch deshalb sei Deutschland für die Türkei »Investor, Handelspartner und Tourismusherkunftsland Nummer 1«. Umgekehrt tummelten sich in Deutschland inzwischen 60 000 türkische Firmen, die 300 000 Menschen beschäftigen und 26 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaften.
Mit 7,9 Prozent erreichte die Inflationsrate in der Türkei den niedrigsten Stand seit mehr als 30 Jahren; die 72 Millionen Menschen haben mehr Geld in der Tasche. Zu den Unternehmen aus OWL, die es an den Bosporus zog, gehören Isringhausen (Lemgo), Musterring International (Rheda-Wiedenbrück) und Dürkopp Adler (Bielefeld). Das Handelsvolumen zwischen der Türkei und Deutschland vergrößerte sich 2004 um ein Fünftel auf 20 Milliarden Euro.
Im Gegensatz zu den wirtschaftlichen sind die politischen Beziehungen problematisch. Seit dem 3. Oktober läuft der Verhandlungsmarathon über den Beitritt der Türkei zur EU, und das mit offenem Ausgang. Die Türkei werde nicht diskriminiert, sondern bevorteilt, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses der EU, Elmar Brok aus Bielefeld.
Erstmals würden von einem Beitrittskandidaten vollständige Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nicht bereits vor Beginn der Verhandlungen gefordert. Die Türkei sei strategisch so wichtig wie zu Zeiten des Kalten Krieges, aber darüber dürfe man nicht die inneren Mängel verschweigen. 1000 Folterungen im Jahr 2004 seien dokumentiert, zudem würden die evangelische und katholische Kirche rechtlich benachteiligt.
Brok hält eine reine Freihandelszone für unzureichend: »Wir brauchen eine politische Union. Wir müssen ein starker Partner der USA sein, sonst sind wir nur ihr Vasall.«

Artikel vom 04.11.2005