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Ein Rot-Grüner mit konservativen Zügen

Matthias Platzeck - der neue Hoffnungsträger der SPD

Von Ronald Bahlburg
Potsdam (dpa). Wohin geht die Reise der SPD mit ihrem designierten neuen Vorsitzenden Matthias Platzeck? Als einen »Rot-Grünen mit konservativen Zügen« hat sich Matthias Platzeck einmal bezeichnet - und dabei in Kauf genommen, dass ihm dies in der Politik den Ruf eines Chamäleons einbringen könnte.

Die Selbsteinschätzung hat ihm nicht geschadet, im Gegenteil: In Kürze wird der 51-Jährige voraussichtlich Deutschlands älteste Partei als Nachfolger großer Vorsitzender wie August Bebel, Kurt Schumacher und Willy Brandt führen.
Erst vor sechs Wochen umriss der 51-Jährige seine Zukunftsvision. Titel: »Die neue Sozialdemokratie«. Danach lägen Deutschlands Chancen allein in einer »energischen Erneuerung«, wie sie durch die Reform-Agenda von Kanzler Gerhard Schröder (SPD) begonnen wurde. Das »gute Wahlergebnis« vom 18. September habe diesen Kurs aufs Neue legitimiert. »Diese Idee handelt davon, dass wirtschaftliche Dynamik und soziale Gerechtigkeit heute mehr denn je zusammengehören.«
Entsprechend kritisch setzte sich Platzeck in der Vergangenheit mit der Reform-Agenda auseinander, ohne Schröder in den Rücken zu fallen. Wo immer er Ungerechtigkeiten ausmachte, drängte er auf Korrekturen. So wehrte er sich sowohl gegen die zunächst geplante verzögerte Auszahlung des Arbeitslosengeldes II als auch die Anrechnung von Kindersparbüchern. Darüber hinaus trat der Potsdamer Regierungschef bei der Hartz-IV-Reform für die Angleichung der Regelsätze zwischen Ost und West ein.
»Wir müssen aufpassen, dass die Leute nicht unter die Räder kommen«, warnte Platzeck vor allzu radikalen Auswirkungen der Maßnahmen. Als Ostdeutscher sind seine Sinne hierfür besonders geschärft. »Sozialdemokratischen Humanismus« nennt ein Gefolgsmann diese Haltung. Das Parteibuch wurde dem gebürtigen Potsdamer nicht in die Wiege gelegt. Er gehört nicht einmal zu den Mitbegründern der Ost-SPD von 1989. Platzeck, der seit 1999 dem SPD-Bundesvorstand angehört, ist keinem der Parteiflügel zuzurechnen.
Frühe politische Heimat des Naturwissenschaftlers war eine 1988 ins Leben gerufene Bürgerinitiative, die sich gegen Umweltsünden wandte. 1990 zog Platzeck für die Grüne Partei der DDR in die erste frei gewählte Volkskammer ein und gewann später über die Landesliste von Bündnis 90 ein Mandat im brandenburgischen Landtag. Von 1990 bis 1998 war er im Kabinett von Manfred Stolpe (SPD) Umweltminister.
Weil er die Fusion von Bündnis 90 mit den West-Grünen ablehnte, wurde der Arztsohn vorübergehend parteilos, bis er 1995 der SPD beitrat. Hier machte sich der Sympathieträger durch sein einnehmendes Wesen, aber auch seine Durchsetzungskraft schnell unentbehrlich. Bundesweit bekannt wurde er als »Deichgraf« durch sein gelungenes Krisenmanagement beim Oderhochwasser 1997.
Ein Jahr später kandidierte Platzeck erfolgreich für das Amt des Potsdamer Oberbürgermeisters und wendete einen Sieg der PDS ab. Im Jahr 2000 übernahm er den SPD-Landesvorsitz. 2002 folgte er Stolpe im Amt des Ministerpräsidenten und hielt die oft krisengeschüttelte Koalition mit der CDU zusammen. Heute sei Platzeck »mit Leib und Seele Sozialdemokrat«, heißt es in seiner Umgebung.
Als eine der größten Herausforderungen betrachtet er den »demographischen Wandel«, also Überalterung, Geburtenrückgang und Abwanderung in der Gesellschaft. Der Vater von drei Töchtern hat sich deshalb besonders die Fürsorge für Familien auf die Fahnen geschrieben. Daneben sind ihm gute Bildungschancen für alle wichtig.

Artikel vom 03.11.2005