03.11.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Stoiber muss in Bayern
um sein Amt kämpfen

Wiederwahl 2008 nicht mehr ausgemacht - CSU schäumt

München/Rom (dpa). Von Berlin über München nach Rom: Edmund Stoiber ist viel unterwegs. Der Kritik an seinem Rückzug als Wirtschaftsminister kann er dennoch nicht entfliehen.

Die Reise der Landtags-CSU in die italiensiche Hauptstadt steht unter keinem guten Stern. Die Fluggesellschaft, die den 150-köpfigen Tross mitsamt Ministerpräsident Edmund Stoiber in die Heilige Stadt befördern sollte, musste am Tag vor dem Start ihren Betrieb einstellen. Und auch der eilends als Ersatz organisierte Airbus A 320 »Zwickau« konnte gestern nur verspätet in München abheben - Nebel behinderte die Sicht. In der Maschine dürfte die Luft allerdings noch dicker gewesen sein. Denn die Abgeordneten sind auf gut Deutsch stinksauer auf Stoiber und seine Absage an ein Ministeramt in Berlin.
»Ich bin jetzt 30 Jahre in der CSU. Aber einen solchen Trümmerhaufen habe ich noch nicht erlebt«, schäumte der CSU-Parlamentarier Sebastian Freiherr von Rotenhan vor dem Abflug. Der Franke Gerhard Wägemann assistiert: »Das ist nicht mehr vermittelbar, die Leute schütteln nur noch den Kopf.« Und Martin Neumeyer aus Abensberg sagt: »Die Situation ist schwierig. Es hat sich alles gedreht, wovon wir ausgegangen waren.«
Dass die Abgeordneten ihre Kritik so offen kundtun, muss für Stoiber Alarmstufe feuerrot sein - sonst wird Unmut gern hinter vorgehaltener Hand geäußert. Jetzt aber scheint bei vielen die Geduld erschöpft. Das lange Zögern des Parteichefs in der Frage Berlin oder München, das harte Ringen um den richtigen Zuschnitt des Wirtschaftsressorts und dann plötzlich doch der Absprung - das ist für viele nicht nachvollziehbar. Dass Stoiber dann auch noch den Abgang von SPD-Chef Franz Müntefering als Begründung angab, stach als Argument nicht. »Kaum war Stoiber weg, war der Müntefering wieder da«, stichelte Ex-Justizminister Alfred Sauter.
Selbst die Parteioberen räumen durch die Blume ein, dass Stoiber nach seinem Zickzackkurs angeschlagen ist. Ein führender Fraktionsmann sprach sogar von »parteischädigendem Verhalten«. Und längst gilt nicht mehr bei allen als ausgemacht, dass Stoiber auch über das Wahljahr 2008 hinaus Regierungschef in Bayern bleiben wird. Dabei wird für ihn jetzt alles darauf ankommen, sich in der Landtagstruppe wieder ein gutes Standing zu verschaffen. Denn bei der angekündigten Konzentration auf die Landespolitik ist er auf diesen Rückhalt angewiesen. Stoiber dürfte deshalb die dreitägige Reise nach Rom zur Seelenmassage bei den Abgeordneten nutzen. Er hat eigens dafür seine Teilnahme an den Koalitionsverhandlungen in Berlin verkürzt.
Zum Unmut beigetragen hat nicht zuletzt auch die leidige Nachfolgediskussion. Um sich selbst den Rückzug offen zu halten, hatte Stoiber den Machtkampf zwischen Innenminister Günther Beckstein und Staatskanzleichef Erwin Huber einfach treiben lassen - die Entscheidung sollte erst Mitte November fallen. »Das hat Narben hinterlassen«, kritisierte ein Abgeordneter. Die ausgebremsten Kandidaten trugen die neue Lage mit Fassung und bereiteten sich auf die Privataudienz beim Papst heute vor. »Die Sünden der CSU sind so öffentlich, da brauchen wir keine Beichtstühle«, meinte Huber.

Artikel vom 03.11.2005