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Die Engel geraten auf Abwege

In Dresdener Kunstsammlungen gibt es jetzt einen kindlichen Kunstführer

Von Jörg Schurig
Dresden (dpa). Für große Kunst ist niemand zu klein. Während manche Kinder heute schon im Bauch der Mutter zielgerichtet mit Bach oder Mozart beschallt werden, um spätere Musikalität zu fördern, eignet sich die Bildende Kunst freilich erst für die Lebensphase jenseits der Wiege.

Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden nutzen jetzt die Fantasie und Mallust der lieben Kleinen und legten einen kindlichen Kunstführer für die Gemäldegalerie Alte Meister auf. Direktor Harald Marx empfiehlt ihn auch für Gute-Nacht-Geschichten. Im Buch »Zwei Engel büxen aus... « von Stephanie Sonntag geraten die beiden Himmelsboten am unteren Rand von Raffaels »Sixtinischer Madonna« auf Abwege. Eines Tages verlassen sie das Bild, um die Galerie auf eigene Faust zu erkunden. Was sie dabei alles erleben, wird in der Rahmenhandlung erzählt. Darin sind auch elf Meisterwerke der Sammlung eingebunden. So nebenbei erfahren die Kinder zum Beispiel etwas über den »Trunkenen Herkules« von Rubens, die Heilige Nacht von Correggio oder den Erzengel Michael (Gebrüder Dossi).
Bei der Auswahl der Bilder, der Illustration und Teilen der Geschichte halfen Mädchen und Jungen aus einem Dresdner Kindergarten und einer Grundschule mit. »Sie hatten die Idee, dass sich die Engel auch in andere Bilder einschmuggeln können«, berichtet Stephanie Sonntag. Jetzt waren 20 kleine Ko-Autoren die ersten, die das Buch inklusive Bastelbogen erhielten. Dass die Engel auf dem Bild mit der Madonna sich langweilen und deshalb ausbüxen, ist einhellige Meinung in der großen Kinderschar.
Dem achtjährigen Sebastian Seifert gefällt vor allem das Gemälde »Der Turmbau zu Babel« von Martin van Valckenborch. »Das sieht aus wie ein Ameisenhaufen«, sagt der Drittklässler und zeigt auf sein Lieblingsbild. Anniko Brand und Stefanie Belker finden dagegen Raffaels Madonna besonders schön, vor allem den Schleier und das lange Gewand. Der fünfjährige Robert outet sich als »Häuser-Maler«. Was er von einzelnen Gemälden hält, verschweigt der Knabe. Seine Fantasie wird eigene Bilderwelten schaffen.
»In jedem von uns steckt ein Stück Harry Potter«, sagt der Generaldirektor der Kunstsammlungen, Martin Roth. Für ihn ist es wichtig, dass Kinder so früh wie möglich mit der Kunst in Berührung kommen: »Andernfalls wird es später schwer, diese Schwelle zu überschreiten.« Nach der Wende sei die Museumsarbeit mit Kindern leider etwas in Vergessenheit geraten.
Der Deutsche Museumsbund berichtet von vielfältigem Engagement seiner Mitglieder für den Nachwuchs. »Kinder und Jugendliche sind eine gefragte Zielgruppe, weil sie langfristig den Besucherstamm von morgen stellen«, sagt Geschäftsführerin Mechtild Kronenberg. In Niedersachsen und Bremen gebe es sogar einen vierbändigen Kunstführer für Kinder. Den Berufsstand der Museumspädagogen hält Kronenberg selbst in Zeiten finanzieller Zwänge für weitgehend ungefährdet: »Sie gehören meist zur Öffentlichkeitsarbeit, die mit Blick auf das Publikum eher gestärkt wird.«

Artikel vom 03.11.2005