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Steuererhöhung wird kommen

Steinbrück: »An Kernforderung der Union führt kein Weg vorbei«

Berlin (dpa). An einer Erhöhung der Mehrwertsteuer führt nach Einschätzung des designierten Finanzministers Peer Steinbrück (SPD) kein Weg vorbei. »Sie ist eine Kernforderung der Union. Die kann und wird sie nicht auch noch aufgeben«, sagte Steinbrück.
Wie weit die Steuererhöhung zur Sanierung des Staatshaushaltes und zur Senkung der Lohnnebenkosten eingesetzt wird, war am Montag noch offen. In der Union hieß es, grundsätzlich wollten beide Seiten nach dem Prinzip Sparen geht vor Steuererhöhungen den Bundeshaushalt sanieren.
Am Nachmittag traf sich die große Koalitionsrunde zum vierten Mal. In einer anschließenden kleinen Runde wurden erste Weichen für die beiden letzten Verhandlungswochen gestellt werden. Am 12. November soll der Koalitionsvertrag unterschriftsreif sein. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), der an der kleinen Runde am Abend teilnehmen wollte, sagte am Montag im SPD-Vorstand: »Von heute an wird über die großen Brocken verhandelt.«
Steinbrück wollte in der kleinen Runde, die bei Redaktionsschluss noch anhielt, eine in Abstimmung mit dem Unions-Verhandlungsführer, Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU), erarbeitete Liste vorlegen, wie das 2007 allein im Bundeshaushalt klaffendes Loch von 35 Milliarden Euro zu schließen ist. Es wurde erwartet, dass Steinbrück einen Mix aus Einsparungen und Steuererhöhungen präsentiert. Es sei aber nichts entschieden, betonten beide Seiten.
Koch sprach von dem »schwierigsten Koalitionsvertrag seit vielen Jahren«. Das Ringen um ein Regierungsbündnis sei eine »unglaublich komplizierte Aufgabe«. Gleichwohl sei er optimistisch. Am Wochenende war Kritik über den Fortgang der Koalitionsverhandlungen laut geworden. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Fraktion, Peter Ramsauer, sagte: »Von einem großen Wurf ist weit und breit keine Spur.«
Der Präsident des CDU-Wirtschaftsrates Kurt Lauck erklärte: »Statt angemessene Sparvorschläge zu unterbreiten, wird die Flucht in eine Mehrwert-steuererhöhung gesucht.«
Steinbrück warnte vor einer verzerrten Diskussion über die Staatsfinanzen. Jede Dramatisierung sei kontraproduktiv, sagte er dem »Vorwärts«. »Wir müssen in eine Art Kur, aber wir sind doch nicht in der Geisterbahn, wo das blanke Entsetzen angeboten wird.« Koch hatte angesichts der Haushaltslage und der Belastungen, die deswegen auf die Bürger zukommen, von »Heulen und Zähneklappern« gesprochen.
Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) setzte sich erneut dafür ein, Einnahmen aus der Umsatzsteuer zur Senkung der Lohnnebenkosten zu nutzen, »weil wir wissen, dass ein Prozent Senkung der Lohnzusatzkosten 100 000 bis 170 000 zusätzliche Arbeitsplätze schaffen soll«.
Der Finanzexperte der CDU/CSU-Fraktion, Michael Meister, sagte, grundsätzlich wollten beide Seiten nach dem Prinzip sanieren, Sparen geht vor Steuererhöhungen. Darauf hätten sich die Finanzexperten verständigt.
Erhebliche Differenzen bestehen zwischen Union und SPD weiterhin über den Kurs einer möglichen großen Koalition in der Türkei-Politik. Beide Seiten konnten sich auch in der vorerst letzten Sitzung der Arbeitsgruppen Außenpolitik nicht auf eine gemeinsame Linie in dem strittigen Punkt einigen. Die Union besteht darauf, dass eine von Union und SPD gebildete Bundesregierung auf europäischer Ebene auch das Ziel einer so genannten privilegierten Partnerschaft zwischen EU und Türkei verfolgen wird.
In allen anderen Bereichen der Außenpolitik besteht dagegen kein Streit. Auch im Hinblick auf die von der Union geforderte Neubelebung der transatlantischen Beziehungen herrsche Konsens.

Artikel vom 01.11.2005