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Pressestimmen

»Wenn du an eine Weggabelung kommst nimm sie! So spotteten manche Angelsachsen nach der Bundestagswahl über die innere Zerrissenheit der deutschen Wähler. Jetzt setzt die SPD noch ein bizarres Spektakel oben drauf: In ihrer strategischen Verwirrung hat sie aus Versehen den eigenen Vorsitzenden gekippt, der die Partei in die große Koalition führen wollte und sollte. Der Sturz des Franz Müntefering ist der größte anzunehmende Unfall für die SPD, und er ramponiert auch die künftige Koalition, noch bevor die überhaupt richtig geschlossen ist.«
Financial Times Deutschland, Hamburg

»Mit dem politischen Beben in der SPD wankt die Große Koalition dermaßen heftig, dass man um ihr Zustandekommen ernsthaft bangen muss. Ohne die politische Schwergewichte Franz Müntefering und Edmund Stoiber wäre Angela Merkel eine Kanzlerin ohne ausreichendes Hinterland, ohne ausreichende Unterstützung. Der linke Flügelschlag in der SPD hat einen politischen Hurrikan ausgelöst. Aber Deutschland braucht eine stabile Regierung. Muss jetzt Bundeskanzler Gerhard Schröder noch mal ran?«
Ostsee-Zeitung, Rostock

»Mitten in den entscheidenden Koalitionsverhandlungen verlieren sich die Sozialdemokraten in internen Machtkämpfen und stellen ihren Vorsitzenden, den designierten Vizekanzler Franz Müntefering, kalt. Was hätte der wohl anderes tun sollen, als hinzuschmeißen, nachdem ihm mit dem eindeutigen Vorstandsvotum von 23 zu 14 Stimmen eine Generalsekretärin zur Seite gestellt werden sollte, die er nicht haben wollte? Es ist die alte Last sozialdemokratischer Führungspersönlichkeiten, dass ihnen die eigenen Truppen die Gefolgschaft verweigern. Die SPD kopflos, Deutschland noch ohne neue Regierung. Wie es in Berlin weitergeht, steht in den Sternen. Viel dicker kann es nicht mehr kommen.«
Nordbayerischer Kurier,
Bayreuth

Münteferings Abgang ist für die von Schröders Egotouren ohnehin zerzauste SPD ein Unglück. Er verkörpert wie kein Zweiter sozialdemokratische Tugenden: zuverlässig, uneitel. Wer soll der SPD die schmerzhafte Sparpolitik nun glaubwürdig präsentieren - ein Technokrat wie Peer Steinbrück? Kaum. Ohne Müntefering kann sogar die gesamte Statik der großen Koalition zusammenbrechen. Das wäre ein Sieg des Irrationalen über das Vernünftige. Die SPD scheint sich derzeit selbst nicht zu verstehen.«
taz, Berlin

Gnadenlos, rücksichtslos, verantwortungslos, auch mit Blick auf die eigenen Wähler, auf das Land, hat der SPD-Vorstand seinen Vorsitzenden in den Regen gestellt, demontiert, vom Schild geputzt, mitten in Koalitionsverhandlungen, mitten in einer Situation, in der es um die Zukunft Deutschlands geht.
Man weiß gar nicht so recht, wie man diesen Abgrund der Anstandslosigkeit noch bezeichnen soll. Selbstmord? Hut ab jedenfalls vor Franz Müntefering, diesem ÝgeborenenÜ SPD-Vorsitzenden, der aus diesem Tiefschlag weit unterhalb der Gürtellinie in kürzester Zeit die einzig richtige Konsequenz zog: Das Unerledigte noch erledigen, pflichtbewusst, diszipliniert, anständig, und dann den Weg frei machen für eine, tja: bessere sozialdemokratische Zukunft, in der vielleicht auch Helmut Schmidts ÝSekundärtugendenÜ wieder eine Heimat finden.
Lübecker Nachrichten

Artikel vom 01.11.2005