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Medium narrt Gericht: »Ich weiß, wo die Tote ist«

Mordprozess ohne Leiche: Angeklagter Ehemann kommt möglicherweise mit milderer Haftstrafe davon

Von Christian Althoff
Detmold (WB). Mordprozess ohne Leiche: Am dritten Verhandlungstag hat ein Medium das Schwurgericht zum Narren gehalten und bei den Eltern der verschwundenen Frau falsche Hoffnungen geweckt.

Seit einer Woche steht Alexander F. (28) wegen Mordes vor dem Landgericht Detmold. Seine schwangere Frau Bianca (22) war im Juni 2000 wenige Tage nach der Hochzeit verschwunden. Der Ehemann gab an, sie habe ihn im Streit verlassen. Der Staatsanwalt geht davon aus, dass Alexander F. seine Frau im Streit getötet und die Leiche beseitigt hat.
Gestern morgen hatte sich noch vor Verhandlungsbeginn eine 71 Jahre alte Rentnerin telefonisch beim Vorsitzenden Richter Michael Reineke gemeldet und behauptet, sie wisse wo die tote Frau liege: »Ich werde es dem Angeklagten ins Gesicht sagen!«, kündigte sie in dem Telefongespräch an. Angela R. (47), die Mutter des mutmaßlichen Mordopfers, hatte daraufhin für ein paar Stunden Hoffnung geschöpft, das Schicksal ihrer Tochter aufzuklären.
Auf ihren Gehstock gestützt schlurfte Rentnerin Irene R. dann am Nachmittag in den Gerichtssaal. Sie ließ sich in den Zeugenstuhl fallen, legte den Stock vor sich auf den Tisch und bat den Richter, laut zu sprechen. Der warnte sie zunächst, dass der Prozess keine Spaßveranstaltung sei. Die Zeugin nickte und sprudelte los: »Sie haben die Tote an der falschen Stelle gesucht! Sie liegt nicht in der Senne im Wald, sondern im Wasser!«, rief sie. Auf Nachfragen Reinekes ergänzte die Detmolderin, die Tote befinde sich in einem künstlich geschaffenen See, auf dem regelmäßig Polizisten und Soldaten übten. Später, außerhalb des Gerichtssaals, ergänzte die Zeugin, dieser See liege im Bereich Augustdorf/Stukenbrock.
Auf die Frage, woher sie ihr Wissen habe, antwortete die Frau, sie sei Mitglied im Detmolder »Lichtkreis«: »Wir sind sechs Menschen, die gemeinsam beten und meditieren. Dabei ist eine Stimme über uns gekommen, die uns verkündet hat, wo Biancas Leiche liegt!« Während Angela R. an den Lippen der Zeugin hing und später meinte, man solle den Hinweisen auf ihre Tochter nachgehen, zog der Angeklagte während der Aussage der 71-Jährigen die Augenbrauen hoch und lächelte. Der Vorsitzende Richter verabschiedete die 71-Jährige kurz darauf mit den Worten: »Sie haben uns an der Nase herumgeführt!«
Der Mordprozess wird am 8. November fortgesetzt. Schon am Montag deutete sich allerdings an, dass der Vorwurf gegen den Angeklagten möglicherweise nicht aufrechterhalten wird, sondern auch eine Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Betracht kommen könnte - Höchststrafe zehn Jahre. Nachdem im Prozess bekanntgeworden war, dass Alexander F. seine Frau wiederholt im Streit misshandelt hatte, kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass er Bianca F. auch am Tag ihres Verschwindens im Streit verletzt hat - und sie an den Folgen gestorben war.

Artikel vom 01.11.2005