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Es muss nicht kompliziert klingen

Von Laura-Lena Förster
Ich schreibe ja nicht zum Spaß. Also darf das Ergebnis auch nicht nach Spaß aussehen. Lieber viele Fachbegriffe (ohne Definition natürlich, sonst entlarve ich mich noch als Ungebildete) in halbseitige Sätze einbetten. Hier und da ein kluges Zitat einwerfen. Und mit meinem Wissen nur so protzen. Immerhin befinde ich mich an der Universität. Da wird wissenschaftliches und nicht lesefreundliches Schreiben verlangt. Diese Vorstellung kennen Stefanie Haacke und Swantje Lahn vom Schreiblabor nur zu gut. Sie erzählen, wie hinderlich sie ist.

»Viele Studenten beginnen ihre Haus- und Examensarbeiten mit vollkommen falschen Erwartungen«, sagt Stefanie Haacke. »Ein großer Irrtum ist, dass wissenschaftlich schreiben immer auch kompliziert schreiben heißt.« Selbst wenn manche Texte diesen Eindruck erwecken, wissenschaftlich werden sie durch ganze andere Kriterien als Unverständlichkeit. Beispielsweise durch eine klare Definition und klare Bearbeitung des Gegenstands. Dadurch, dass deutlich wird, wer spricht. Wenn der Verfasser Behauptungen belegt und mit Argumenten stützt, Fachbegriffe klärt und durchhält.
Oft missverstandener Anspruch Nummer zwei: die Vollständigkeit. Bevor endlich mit dem Schreiben begonnen wird, verheddern sich nicht wenige mit Literaturbergen. Ganz im Gegensatz zu jenen, die nicht aufhören können. So lange, bis nur noch ein Tipp-Marathon den Abgabetermin und sein Einhalten retten kann. Stress. Schlaflosigkeit. Eine (wahrscheinlich) schlechte Note. All das hätte sich ersparen können, wer folgendes Zitat verinnerlicht: »Keine Forschung hat jemals einen objektiven Endpunkt.« Was Stefanie Haacke damit sagen möchte: »Wissenschaft ist ein Gespräch. Ich leiste dazu meinen mehr oder weniger großen Beitrag, in einem Rahmen, den ich selbst abstecken muss.«
Und im Arbeitsprozess gilt: Ich darf und soll mich mit anderen Menschen über mein Thema auseinander setzen. »Gerade Geisteswissenschaftler sind oft ängstlich, ihre halbfertigen Texte aus den Händen zu geben«, weiß Stefanie Haacke. »Dabei sind Zusammenarbeit und Feedack so wichtig, gerade bei den neuen Bachelor-Studiengängen, in denen alles ein wenig schneller gehen muss.«
Arbeitspläne können helfen, sich nicht zu lange mit einem Schritt, zum Beispiel der Literaturrecherche, zu beschäftigen. Hilfreich ist es, eine Deadline zu setzen und realistisch einzuschätzen, was man bis dahin überhaupt lesen kann. Auch Beratung kann helfen. »Es ist wichtig, alle Unsicherheiten zu klären«, rät Swantje Lahn. »Oft hilft auch die Frage an einen Kommilitonen: Meinst du, das reicht?«
Eng gepaart mit dem Missverständnis, sein Thema vollständig, das heißt grenzenlos bearbeiten zu müssen, ist der dritte Irrtum, die Perfektion. Der Text muss auf Anhieb vollkommen sein, alles muss mit dem ersten Wort wie eine Eins auf dem Papier sitzen. Schreiben wird nicht als Prozess verstanden, sondern alsstarres Gebilde, das einmal steht und nie, nie wieder verändert werden kann. Schade und schlecht. Denn: »Gerade beim Verfassen des Textes klärt sich Vieles. Schreiben ist nämlich mehr als nur Aufschreiben. Es umfasst viele gedankliche und handwerkliche Schritte. Und dann muss man auch schon mal die Leertaste drücken und ganze Passagen löschen«, sagt Stefanie Haacke. Schlimm ist das nicht.
Ins Leben gerufen hat das Schreiblabor Dr. Andrea Frank. Anfang der 1990er Jahre reiste sie, damals Referentin des Prorektors für Studium und Lehre, durch die USA, besuchte etliche Unis und stellte fest, dass es beinahe überall »Writing-Centers« gab. In Deutschland war davon nicht eines zu sehen. »Ich dachte: Hier gibt es noch erheblichen Handlungsbedarf«, erzählt Dr. Andrea Frank und erinnert sich an den Brief, den sie, wieder zu Hause, an das NRW-Wissenschaftsministerium schrieb. Der Antrag für ein Schreiblabor in Bielefeld. Geld für zwei Hilfskräfte wurde bewilligt, ihr selbst die Leitung übertragen. Und so wuchs die Einrichtung immer weiter, die Nachfrage seitens der Studenten steigerte sich enorm. Heute ist sie Projektleiterin des Arbeitsbereichs Berufsorientierung und Schlüsselkompetenzen, in den das Schreiblabor mittlerweile integriert ist und der die Lehrenden dabei unterstützt, Studierende bei der Berufsorientierung, beim Lernen und eben auch beim Schreiben noch besser anzuleiten und zu betreuen.
Stefanie Haacke und Swantje Lahm kümmern sich hier um das Schreiben im Studium. Erstere hat ihren Magister an der Freien Universität in Berlin in Philosophie, Religionswissenschaften und Kunstgeschichte abgeschlossen und ist seit 1998 in Bielefeld. Ihre Kollegin darf sich Eigengewächs nennen, eine Absolventin der Geschichte, Soziologie und Osteuropastudien. Nur zu Zweit könnten sie eine kompetente Beratung allerdings nicht leisten. Glücklicherweise gibt es Doktoranden. Acht bis zwölf bilden die beiden pro Jahr aus, kostenlos wohl gemerkt. Dafür bezahlen sie mit ihrer Arbeit in Workshops etwa für Examenskandidaten. Eine Vereinbarung, bei der es wirklich nur Sieger gibt.
l Welche Arbeitsschritte man bei umfangreichen Schreibprojekten beachten sollte, lesen Sie auf der folgenden Seite

Artikel vom 08.11.2005