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Braver Parteisoldat im
Gestrüpp der Netzwerke

Franz Müntefering wirft hin und bewahrt Haltung

Von Reinhard Brockmann
Berlin (WB). Parteisoldat bis zuletzt: Als Franz Müntefering am Mittwoch seine größte Niederlage fast kollegial den Journalisten »verkaufte«, zeigte er ganz am Ende ein wenig Wehmut. »Sie werden verstehen, dass ich jetzt keine Fragen beantworte.«

»Unter den gegebenen Bedingungen kann ich nicht mehr Parteivorsitzender sein«, sagte Müntefering mit versteinertem Gesicht in »seinem« Willy-Brandt-Haus. Er wollte nur informieren. Später könne man auch mal nachfragen, sagte er den nicht minder ratlosen Journalisten und trat ab.»Ich werde nicht weglaufen«, fügte er trotzig hinzu. Will sagen: Ich mache nicht den Oskar.
»Ihr müsst wissen, dass das wichtig für mich ist«, hatte Müntefering unmittelbar vor der Abstimmung zwischen Andrea Nahles und Kajo Wasserhövel noch einmal die Vorstandsmitglieder beschworen. »Beide können das. Es ist aber meine dringende Erwartung, dass Kajo das Amt ausführen soll. Ihr könnt mir glauben, dass ich das Beste für die Partei will«. Trotz solcher Mahnungen ließ eine klare Mehrheit ihren Vormann dann eiskalt abblitzen.
Es sei mit vielen unsauberen Mitteln gearbeitet worden, klagte Müntefering danach ungewöhnlich offen. Es seien viele Gründe für Nahles gefunden worden, »einige auch erfunden«, fügte er verbittert hinzu. Dieser Vorwurf zielte auf ein Zweckbündnis von Linken und »Netzwerkern«, die Nahles gegen den erklärten Willen des Parteichefs in den Sattel heben wollten. Aus beiden Lagern verlautete, Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul habe bei diesem Manöver hinter den Kulissen eine besonders aktive Rolle gespielt, um sich ihren Posten als Partei-Vize zu sichern.
Völlig unklar blieb am Montag, ob Müntefering noch als Arbeitsminister und Vizekanzler zur Verfügung steht. Auch Politiker aus Ostwestfalen-Lippe wussten keinen Rat. Selbst Ute Berg aus Paderborn, die an der dramatischen Vorstandssitzung teilgenommen hatte, war vom Ausgang überrascht. (siehe »Konsequenz nicht erwartet).
Für Klaus Brandner (SPD) aus Gütersloh ist es schlicht bedauerlich, dass die Nahles-Anhänger die Folgen ihres Handelns nicht bedacht hätten. Es gebe immer wieder die Situation, dass man sein demokratisches Recht unterstreichen und ein Zeichen setzen wolle. Aber in der gegenwärtigen Lage sei es »besser, nicht Spontanität walten zu lassen und einen kühlen Kopf zu behalten«.
Franz Müntefering sei kein Zuchtmeister im engen Sinne, meinte Brandner. Es sei ihm aber offenbar nicht gelungen oder auch schlechterdings unmöglich, alle Teile der Partei derzeit »mitzunehmen«. Vom Wahlergebnis bis zu den inhaltlichen Herausforderungen der großen Koalition laufe derzeit sehr viel Unterschiedliches im Parteivorstand zusammen.
Aus Brandners Sicht gab es keine Kritik am generellen Kurs bei den gegenwärtigen Verhandlungen mit der Union. Brandner ist Mitglied der Arbeitsgruppe Arbeitsmarkt und soziale Fragen.
Entsetzen, teilweise auch unterschwellige Furcht vor weiterem Stillstand äußerten für die Union Elmar Brok und Steffen Kampeter. »Die SPD ist auf dem Weg weg nach links von der Mitte«, urteilte der Bielefelder Europaabgeordnete Brok. Unisono mit Kampeter meinte er, in den nächsten Tagen müsse sich zeigen, ob die SPD noch regierungsfähig sei. Aus Sicht des Mindener Haushaltsexperten Kampeter ging es bei der Entscheidung über den künftigen Generalsekretär »selbstverständlich« um den generellen Kurs der SPD.

Artikel vom 01.11.2005