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Kundiger Volksmund

»Wenn man in der Sahara den Sozialismus einführt, wird der Sand knapp.«

Leitartikel
SPD in schwerer See

Donnerschlag,
was für
ein Schlag!


Von Rolf Dressler
Franz Münteferings Donnerschlag hat gesessen. Er traf die Sozialdemokratische Partei Deutschlands mitten ins Herz - oder jedenfalls ungefähr dort, wo man dieses lebenswichtige Organ bei einer politischen (Schicksals-) Gemeinschaft vermuten darf.
Zwar beteuern einzelne SPD-Vorstandsmitglieder unter der Hand, das hätten sie so nun auch wieder nicht gewollt, als sie mehrheitlich für Andrea Nahles und damit gegen Münteferings Kandidaten Kajo Wasserhövel für das Amt des Generalsekretärs ge- stimmt hatten. Doch das hilft ih- nen nun auch nicht mehr. Denn krachend wirft »Münte«, der knorrige Sauerländer, nichts Geringeres hin als den Vorsitz der einstigen Arbeiterpartei.
Noch Stunden zuvor war er im gesamten deutschen Blätterwald als der Mann gefeiert worden, der in der noch taufrischen neuen Zeitrechnung nach Gerhard Schröder zum unumschränkten Alleinführer der SPD aufgestiegen sei. Wohl niemand hat daher diese wahrlich sensationelle Wende für möglich gehalten, geschweige denn, vorausgesehen oder gar im Ernst vorausgesagt.
Vorerst bleibt also nur, eins und eins zusammenzuzählen. Oder man erliegt der Versuchung, wild ins Blaue hinein zu spekulieren. Stichwort: Hauen und Stechen um das Nachfolge-Personal und um die künftige programmatisch-ideologische Positionierung. Reichlich »Futter« für den Karlsruher Parteikongress am 14. November.
Dabei kann es kaum noch dic- ker kommen. Man erinnere sich: Schröder erzwang die vorgezogene Bundestagswahl, um sich eine breite Unterstützung für seine »Agenda 2010«-Reformen zu verschaffen. Nur dank wahltaktischer Fehleinschätzungen und Fehler der Unions-Konkurrenz reichte es am Ende aber gerade noch für das ungeliebte Beteiligungsmodell Große Koalition. Und nach Schröder wurde nun auch Müntefering von einer Mehrheit in der SPD abgeblockt, ja, gedemütigt.
Sie reicht offenbar weit über den linken Flügel hinaus bis in die breite Mitte der Partei, hängt dem Fetisch sogenannter »sozialer Gerechtigkeit«, sprich: staatlicher Umverteilung, an und weigert sich deshalb brüsk, den schmerzhaften Weg der Müntefering-Gefolgschaft unter einer CDU-Kanzlerin Angela Merkel mitzugehen.
Platzeck, Gabriel, Wowereit, Beck, Nahles? Schon rotiert natürlich das Nachfolger-Kandidaten-Karussell. Nur, wer bewahrt diese SPD davor, sich selbst zu zerlegen, wenn tatsächlich eine Mehrheit die Macht gewinnt, die das angeblich einzig wahre »sozial gerechte« Umverteilen zur Übermoral stilisiert?
Viel wichtiger aber als das Eigeninteresse der SPD:
Was wird unter diesen fatalen Vorzeichen aus der Großen Koalition? Wie und in wessen Namen kann Franz Müntefering, der gestern als SPD-Chef praktisch abgedankt hat, die Verhandlungen überhaupt noch weiterführen? Wann also bekommen Land und Leute endlich wieder eine handlungsfähige Regierung?
Von Neuwahlen wird von Stund' an nicht mehr nur geflüstert.

Artikel vom 01.11.2005