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»Potsdam liegt zwar vor den Toren Berlins, politisch ist es jedoch meilenweit entfernt.«

Leitartikel
Parteientheater

Pessimisten
dürfen nicht
recht behalten


Von Dirk Schröder
Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement erinnert somanches, was er in den vergangenen Tagen in Berlin erlebt hat, doch stark an die Lindenstraße. Er hat ja Recht. Denn in der Lindenstraße geht es Woche für Woche drunter und drüber - die Zuschauer lieben dies seit Jahren und freuen sich immer wieder auf die nächste Folge.
Was in diesen Tagen aber auf der politischen Bühne in der Hauptstadt aufgeführt wird, dafür fehlt wohl selbst den Drehbuchautoren der Lindenstraße die Phantasie. Doch der Zuschauer - sprich: das Wahlvolk - hat allmählich genug von diesem Polittheater und wendet sich mit Grausen ab.
Haben die Akteure denn vergessen, dass sie am 18. September gewählt worden sind, um Deutschland aus der Misere zu führen, verantwortungsvoll und mit allen notwendigen Härten, ohne die es nicht zu schaffen ist? Auf diesem Weg hätten sie die meisten Bürger auf ihrer Seite. Diese sind sich der Lage, in der sich Deutschland befindet, durchaus bewusst. Sie akzeptieren mehr Einschnitte, als die Politiker glauben, weil sie von deren Notwendigkeit überzeugt sind.
Zwischendurch durfte man durchaus den Eindruck haben, SPD, CDU und CSU seien sich über die Aufgabe im klaren, die ihnen der Wähler mit dem Wahlergebnis übertragen hat. Doch mittlerweile strafen sie ihre Sonntagsreden wieder Lüge. Angeblich stellen sie die Lösung der Probleme über alles. Tatsächlich aber entlarven sich die Politik-Akteure in diesen Tagen wieder einmal, stellen Intrigen, persönliches Karrieredenken und Eitelkeiten über das Ganze.
Mit den anhaltenden Personaldebatten muss nun endlich Schluss sein. In den Koalitionsverhandlungen harren noch zu viele strittige Punkte einer Einigung. Es wäre schlimm, wenn nach dem jüngsten Trauerspiel jetzt die Pessimisten Recht behalten, die nicht mehr daran glauben, dass eine große Koalition überhaupt noch zustande kommt.
Matthias Platzeck ist es zuzutrauen, wieder Ruhe in die Partei zu bringen. Potsdam liegt zwar vor den Toren Berlins, politisch ist es jedoch meilenweit entfernt. Es könnte sich noch als Fehler herausstellen, dass der beschädigte Franz Müntefering und nicht Platzeck in die Regierung eintritt. Auch wenn der »Deichgraf« von sofort an bei den Spitzengesprächen mit am Tisch sitzt.
Ebenso könnte es sich als Fehler erweisen, dass Edmund Stoiber auf CSU-Seite Verhandlungsführer bleibt. Für einen erfolgreichen Abschluss der Gespräche ist dies nicht fördernd, wenn auch die Flucht Stoibers nach München einer künftigen Koalition in Berlin nur gut tun kann. Der CSU-Chef hat bewiesen, dass er höchstens noch zu einem Provinz-Fürsten taugt.
Wie sagte doch Michael Glos: »Wir benötigen gute Leute, die bereit sind mitzumachen.« Dann wird es auch etwas mit einer stabilen Koalition, die Deutschland so dringend braucht.

Artikel vom 04.11.2005