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Stanislaw Jerzy Lec

»Anfang war das Wort - am Ende steht die Phrase.«

Leitartikel
Politiker und Bürokraten

Wenn die
Sprache
baden geht


Von Rolf Dressler
Im Stile tragikomischer Käuze verschlimmbessern nun schon seit Jahren diverse geheime und halbgeheime Räte die bis dahin weitgehend organisch gewachsene deutsche Rechtschreibung. Sie führen sich gerade so auf, als stünden sie bei den hochmögenden Wörterbuch-Verlagen unter Vertrag. Denn diese verbuchen mit jeder neuen Änderung der Änderung der Änderung der inzwischen chaotischen Rechtschreibregeln einen Absatz- und Umsatzerfolg nach dem anderen.
Doch niemand offenbar vermag die sogenannten Reformer zu stoppen. Ganz ähnlich aber geht es auch auf einem anderen Tummelplatz zu. Politiker und Bürokraten wetteifern geradezu um die zweifelhafte Meisterkrone für ein verquast-wichtigtuerisches, mithin bürgerfernes Kauderwelsch, das selbst Gutwilligste verzweifeln und resignieren lässt.
Ziemlich schnuppe ist vielen Verantwortungsträgern offenbar, dass ihnen sogar das Grundgesetz ausdrücklich ein für jedermann gut verstehbares Deutsch abverlangt. Ein Selbstverpflichtungskatalog, wie ihn zuletzt am 9. November 2004 abermals die CDU/CSU-Fraktion des Bundestages beantragte, steht daher bis heute aus. Wichtiger sind unseren (?) Politschaffenden und Verwaltungsleuten wohl das »exklusive« Machtwissen und der Informationsvorsprung, der die eigenen Handlungs- und Vernebelungsmöglichkeiten sichert.
Aus diesem splittrigen Holz werden fortwährend neue sprachliche Tollheiten gezimmert. Wie zum Beispiel der umwerfende »Brandüberschlagsweg«, die »argumentative Synthesis«, das »Prinzip der Anschließbarkeitsprüfung« oder jener »fundamental-explizite sozio-ökonomische Grundwiderspruch«, der - aber gewiss doch! - »ubiquitäre Insuffizienzen evidenter Eminenz respektive cerebraler Intumeszenz impliziert« (Schlicht-Deutsch: »einschließt«).
Aber selbst wenn dann auch noch Claudia Roth, die Grünen-Vorfrau, sprachartistisch tief in die Lücke der »Begriffunglücke« hin-einlangt, muss unser Deutschland nicht gänzlich verloren sein. Der wirklich allerliebste Schwulstbegriff »overlapping consensus«, so gab sie dem gemeinen Volk unlängst zu verstehen, vermeide »die Sackgasse, in die der Begriff 'deutsche Leitkultur' unweigerlich führt«. Denn zu wünschen sei nicht eine Nationalkultur, sondern eine »konsensuell überlappende Schnittmenge, die sich auf der Basis sehr unterschiedlicher Werthaltungen herausbilden kann...«
»Ach was!« würde da der wahrhaft begnadete (Sprach-)Künstler Loriot ausrufen - und sich mit uns darüber freuen, dass inmitten all dieses Kauderwelsch-Unfugs der hochangesehene frühere Verfassungsrichter Paul Kirchhof soeben mit dem Jacob-Grimm-Preis für deutsche Sprache ausgezeichnet worden ist. Das immerhin gibt Hoffnung - und es zeigt übrigens nicht nur nebenher den Kleingeist jener roten und grünen Polit-»Größen«, die Kirchhof im Bundestagswahlkampf als skurrilen »Professor aus Heidelberg« zu schmähen versuchten.

Artikel vom 31.10.2005