29.10.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Dr.Dr. Markus Jacobs


Eine der größten Ängste unserer Tage ist die Angst vor Terroranschlägen. Unzählige Menschen sind in den letzten Jahren den Aktionen von Terroristen zum Opfer gefallen. Was damit im Augenblick unter Missbrauch des Namens Gottes im Umfeld des Islam geschieht, ist uns aber nicht völlig fremd. Denn vor wenigen Jahrzehnten noch verbreiteten z. B. terroristische Zellen der Rote Armee Fraktion auch in unserem Land Angst und Schrecken. Damals kannten wir die Beteiligten besser, denn sie waren ja gerade erst in den Untergrund abgetaucht. Es waren gut gebildete junge Leute, meistens Studenten. Sie hatten hochfliegende Ziele, von denen sie so überzeugt waren, dass sie blind wurden für das mörderische Unrecht, das sie begingen. Was kann man mit solchen Menschen anfangen, wie geht man mit ihnen um?
Erlauben Sie, eine Beobachtung zum Vergleich heran zu ziehen: Es gab in der Gefolgschaft Jesu einen Mann, der bis heute für einen eigentümlichen Beinamen bekannt ist. Er gehört zu den zwölf Aposteln. Eigentlich heißt er Simon. Wo er jedoch erwähnt wird, nennt man ihn immer „Simon, der Zelot“ (Lk 6, 15). Mit diesem Beinamen konnte man ihn nicht nur vor einer Verwechslung mit Simon Petrus bewahren. Mit diesem Beinamen ist eigentlich seine ganze Vergangenheit umrissen.
Denn die Zeloten waren eine radikale Gruppe im Judentum. Eigentlich bedeutet dieser Name „Eiferer“. In diesem Eifer versuchten diese überzeugten Nationalisten aber, das jüdische Volk in Israel mit allen Mitteln gegen die römische Besatzungsmacht aufzubringen. Dabei scheuten sie eben auch vor Terrorformen und Anschlägen nicht zurück. Im Jahre 6 nach Christi Geburt, also während der Lebenszeit Jesu, hatten sie sogar schon einmal einen militärischen Aufstand vom Zaun gebrochen. Damals war der Schaden noch nicht so groß gewesen. Als sie aber im Jahre 70 nach Christus noch einmal dasselbe versuchten, schlugen die Römer mit militärischer Gewalt zurück. Ganz Jerusalem mitsamt dem Tempel wurde zerstört, die Widerstandsnester der Zeloten in den Berghöhlen des Umlandes wurden schonungslos ausgehoben.
Nun heißt also einer der Apostel, der Simon, mit Beinamen „der Zelot“. Diesen Namen war er nicht mehr los geworden. Dies kann ja nur bedeuten, dass er zu dieser Guerilla- bzw. dieser Terrororganisation gehört haben muss. Wir wissen zwar nicht, ob er eher einer der Sympathisanten oder einer der wirklich Gewalttätigen war. Auf jeden Fall aber hatte Jesus diesen Mann bekehrt. Er hatte ihn „gewendet“.
Wenige Zeilen nach der Aufzählung der Apostelnamen wird auch erzählt, wie dies Jesus vermutlich gelungen war: „Alle Leute versuchten Jesus zu berühren; denn es ging eine Kraft von ihm aus, die alle heilte.“ (Lk 6,19) Jesus muss offenbar diese harte, diese aggressive Schale des Eiferers durch Wärme, durch eine bestimmte Ausstrahlung aufgelöst haben. Er hatte ihn von diesem Fanatismus geheilt. Und unter dieser Schicht der Rücksichtslosigkeit des Fanatismus war dann wahrscheinlich ein Mann mit großen Zielen und Einsatzbereitschaft für hohe Werte zum Vorschein gekommen.
Jesus hat diesen bekehrten Fanatiker dann sogar in die kleine Schar seiner zwölf Apostel aufgenommen. Denn wie viele der Terroristen heute war er vermutlich einer der Klügeren. Nach frühkirchlicher Tradition hat er später bei der Missionsarbeit in Persien den Tod gefunden.
Heutige Terroristen sind nicht nur polizeilich zu verfolgen, sie sind auch mit Wärme und dem Wunsch nach Heilung zu verfolgen. Selbst auf die Distanz kann man für sie beten. Denn, was Gott bei einem Simon gelang, das kann ihm bei jedem einzelnen von ihnen auch heute gelingen. Und wir selbst? Kaum einer von solchen verdeckten Gewalttätern gibt sich freiwillig zu erkennen. Diskutieren kann man deshalb nicht. Die Wärme eines Lebenszeugnis wird als Einziges übrig bleiben.

Artikel vom 29.10.2005