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Eindringliche Klage und leuchtender Jubelgesang

Oratorienchor glänzt mit drei seltenen Werken

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Es ist einem Chor hoch anzurechnen, wenn er selten Gespieltes, weitgehend Unbekanntes zur Aufführung bringt. Zumal das musikpädagogisch lobenswerte Ansinnen stets mit einem finanziellen Risiko verbunden ist. Möge die Rechnung für den Oratorienchor aufgegangen sein, der bei seinem ersten Saisonkonzert in der Oetkerhalle mit großem Engagement einen exquisiten Werkekanon zu Gehör brachte.

Im auf Klang- und Wirkungssteigerung abzielenden Programmaufbau eröffnete Johann Sebastian Bachs »Messe in F-Dur« den Reigen chorischer Prachtentfaltung. Nach noch leicht behäbigem »Kyrie-Christe«-Einstieg hat der bei Konzerten traditionell um Bielefelder Singschul erweiterte Oratorienchor im »Gloria« seine gewohnt kultivierte Strahlkraft und Geschmeidigkeit erreicht. Hartmut Sturm setzt auf klare Linienführung sowohl in den melismenreichen Partien als auch der »Cum Sancto«-Fuge und kann sich der weithin makellosen Ausführung seiner Sängerschar gewiss sein. Mit festlichem Bläser-Geschmeide, einer pointiert gestaltenden Continuo-Gruppe und Geigencharisma rundeten die Bielefelder Philharmoniker sowie die klangsinnlich fein eingestimmten Solisten (rein, innig und schlackenlos Cornelie Isenbürger; warm-ausdrucksvoll Eike Tiedemann; einfühlsam und angenehm timbriert Christfried Biebrach) das Bild einer feierlichen Messe-Darbietung.
Nach barockem Lobgesang zu herber Klage. Zoltán Kodálys »Psalmus Hungaricus«, 1923 als Auftragswerk zur 50-Jahrfeier der Vereinigung der beiden Städte Buda und Pest zur ungarischen Hauptstadt entstanden, findet für die Enttäuschung, die der Komponist anlässlich der Abspaltungen seines Landes empfand, eine eindringliche Musiksprache. Luca Martin (Tenor) gelang es dank expressiver Ausformung, das Element des Leidens und der Trauer, die Aufruhr der Gefühle mitfühlend zu gestalten. Chor und Orchester modellierten zwischen herber Monumentalität und stiller Resignation feine Zwischentöne heraus, wobei das durch Stimmverschränkungen große Farbspektrum manchmal zu Lasten der Textverständlichkeit ging. Schade, dass der Text im Programmheft nur zur Hälfte abgedruckt war.
Kleine Abstriche, die der Chor mit der lustvollen Klangentladung von Anton Bruckners »Te Deum« flugs vergessen machte. Mit erhebender Schallkraft stimmte der Chor seinen Jubelgesang über Himmel und Erde an wie er andererseits in inniger Devotion die Menschwerdung Christi pries. Seraphinische Schönheit erreichten Solovioline und harmonisch abgemischtes Solistenquartett beim »Te ergo quaesumus«, ehe die geballte Sängerschar das Werk im leuchtenden Jubel der Doppelfuge beschloss. - Eine großartige Leistung aller Beteiligten, die verdienterweise mit stürmischem Applaus honoriert wurde.

Artikel vom 31.10.2005