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Tanztee-Rituale einer
früheren Protest-Ikone

Bob Dylan und Band hielten in Hannover Hof


Von Klaus Gosmann
Hannover (WB). Wer zu einem Konzert von Bob Dylan geht, weiß, was ihn erwartet. Jede Menge obskures Liedgut des Songpoeten und ein paar wirkliche 60er/70er-JahreKlassiker aus seiner Feder, zumeist zur Unkenntlichkeit gegen den harmonischen Strich und die Publikumserwartungen gebürstet.
Bei seinem Konzert in der Hannoveraner AWD-Hall brach er insofern mit dieser Tradition, indem er Song-Juwelen wie »Lay, lady, lay«, »Highway 61 revisited« sowie im Zugabenblock »Don't think twice, it's all right« und ein psychedelisch rockendes »All along the watchtower« so mundgerecht vortrug, dass man sie selbst ohne Dechiffrierkurs für Diplom-Dylanologen nicht nur am Text, sondern auch an der Melodie wieder erkennen konnte.
Ungewohnt war auch, dass der unbestritten größte Songwriter unserer Zeit sich während des 100 Minuten langen Auftritts vorwiegend am Keyboard statt an der Gitarre festhielt - lediglich unterbrochen von den Momenten, wo der fragil wirkende 64-Jährige in die Bühnenmitte stakste, um dort seiner Mundharmonika Töne zu entlocken, die sich dem Klangbild der Fünf-Mann-Band allenfalls ansatzweise annäherten.
Seine Begleitmusiker scheinen zur Zeit besonders auf rumpelfüßigen Bluesrock zu schwören, dessen nicht uncharmante Brachialität auf Dauer eintönig zu werden droht. Dylan und Band laufen immer dann zu Höchstform auf, wenn's balladesker, akustischer und unterstützt von wunderbar schwebenden Pedal-Steel-Klängen countryhafter wird. Einige seiner Show-Rituale würden den einstigen Protestsänger auch für den Fünf-Uhr-Tanztee im Kurpark qualifizieren: Wie sich bei Konzertende zuerst die auf Anzugs-Uniformität getrimmten Bandmitglieder nebeneinander aufzustellen hatten, der mit einem Stetson wohlbehütete Altmeister die Parade ab- und vor ihnen stehend die Huldigungen der 3500 Zuhörer entgegennahm, bis dann wie auf ein unsichtbares Kommando hin die Musiker streng durchchoreographiert nach links abdrehten - das war ein Abgang mit großer Show-Geste, von dem Gerhard Schröder hätte lernen können.

Artikel vom 29.10.2005