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Im Sog der Glitzermetropolen

16. Film- und Musikfest der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Gesellschaft

Bielefeld (uj). Glitzerndes Nachtleben, zügellose Leidenschaft, exotische Lasterhöhlen - das 16. Film- und Musikfest der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Gesellschaft steht in diesem Jahr ganz im Zeichen des Molochs Großstadt. Livemusik von klassisch bis avantgardistisch, von sinfonisch bis solistisch begleitet die Filmproduktionen, die mit einer Ausnahme allesamt Ende der 20er Jahre entstanden.

Es sind die Jahre des Aufschwungs, in denen sich in Deutschland die Wirtschaftslage kurz stabilisiert. Die Beschäftigungsraten in der Industrie steigen, die Zahl der Angestellten, der so genannten Arbeiter mit Stehkragen, vermehrt sich auf Millionenhöhe. Unzählige Menschen strömen vom Land in die Städte, um dort bescheidenen Wohlstand zu finden.
Und das Kinorepertoire passt sich an: Experimente und verzweifelte Sinnsuche sind nicht mehr gefragt - vielmehr verlangt das Publikum nach pulsierendem, urbanem Leben. »Die Lebenswelten sind vom Realismus geprägt, die Darsteller spielen ohne manieriertes Pathos«, sagt Festival-Mitorganisator Ronald Herzog und verweist auf den Film »Unterground« von Anthony Asquith, einer kammerspielartigen Tragödie aus dem Arbeitermilieu, angesiedelt im Tunnellabyrinth der Londoner U-Bahn.
Auch »Piccadilly« entführt in die britische Metropole, wo im gleichnamigen Nachtclub die Tänzerinnen Mabel und die exotische Schönheit Sho Sho zu Konkurrentinnen werden. »Der Tanz als Sinnbild für Verführung und Erotik zieht sich durch sämtliche Filme«, weiß die Murnau-Vorsitzende Christiane Heuwinkel. Entsprechend lasziv windet sich Brigitte Helm, Darstellerin der Maria in Fritz Langs Klassiker »Metropolis« auf dem Plakat zum diesjährigen Festival.
»Metropolis«, in dem ein Roboter in Gestalt Marias die Massen aufwiegelt, gilt als Begründer des Science-fiction-Genres. Analog dazu steht die Musik von Rolf Sudmann im Zeichen der gescheiterten Utopie. Sudmann kreierte in fünfjähriger Bauzeit einen Orginalnachbau des einzigen noch existierenden Mixtur-Trautoniums. Dabei handelt es sich um ein 1930 von Oscar Sala entwickeltes elektronisches Instrument, das unter anderem den Sound zu Hitchcocks »Vögeln« lieferte. Unterstützt wird Sudmann von den Knebelchören, den einzigen in Esperanto singenden Männerchor.
Beschwingter geht es in »So this is Paris« zu, der letzten von fünf Roaring-Twenties-Komödien, die Ernst Lubitsch zwischen 1924 und 1926 inszenierte. Sein Film ist eine Gesellschaftssatire, eine gut gelaunte Parodie auf tanzende Scheichs und Möchtegernhelden. Als Anhaltspunkte für Helmut Imigs Filmmusik dienten ihm orientalische Versatzstücke und Charleston-Elemente. Die zeitweilige Operettenhaftigkeit entsteht durch die Nähe der Filmhandlung zur »Fledermaus« von Johann Strauß. Karten für das Programm (kompletter Überblick im untenstehenden Info-Kasten) sind ab sofort bei den bekannten Vorverkaufsstellen erhältlich.

Artikel vom 29.10.2005