31.10.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

»Wo bitte, geht's zum Spiel?«

Bundestrainer hakt die EM ab - Halle sieht beste Leistung nach Olympia

Von Hans Peter Tipp
Halle (WB). Da standen sie nun, den ersten Adrenalinschub hinter sich und die Bälle bereits in der Hand: 12 junge deutsche Handball-Wilde fanden sich 40 Minuten vor Spielbeginn am Samstag im Gerry-Weber-Stadion zur eigenen Überraschung im Presseraum wieder. Vor Kuchen, Kaffee und ein paar übrig gebliebenen Buletten lautete die bange Frage: Wo bitte, geht es hier zum Spiel?

Dass die junge Verlegenheits-Auswahl des Deutschen Handball-Bundes (DHB) beim Supercup auch sportlich vom (Erfolgs)Weg abkam, belegte die 27:28-Niederlage im Spiel um Platz fünf gegen Weltmeister Spanien in Halle.
Letzter bei der so genannten Mini-WM: Das war bislang noch nie passiert. Zwar gingen die derzeit besten gesunden deutschen Bundesligaprofis in Halle respektabel zu Werke. Den Sieg aber hielten sie trotz eines starken DHB-Debütanten Andrej Klimovets (6 Tore), eines guten Torwarts Henning Fritz (12 Paraden) und einer zwischenzeitlichen 22:19-Führung (39. Minute) nicht fest.
»Es war dennoch unsere beste Leistung seit den Olympischen Spielen«, stellte Bundestrainer Heiner Brand zunächst das Positive heraus und behauptete: »Wir haben uns ein bisschen Respekt erworben. Deshalb kann ich mit der Niederlage gut leben.« Etwas trockener formulierte es Lemgos Rechtsaußen Florian Kehrmann. Er hatte wegen einer Daumenverletzung nur zugeschaut: »Wir haben phasenweise ganz gut gespielt, stehen aber ohne Sieg da.«
Brands Hauptproblem war der Ausfall zahlreicher Leistungsträger. Deshalb stand ihm dieses Mal nur eine »B-Auswahl« zur Verfügung, eine Art Perspektivteam, aus dem sich Volker Michel (Bänderdehnung und Kapselverletzung im linken Knie) gegen die Spanier auch noch verletzte. »Klar ist, dass diese neu formierte Mannschaft Führungspersönlichkeiten benötigt«, stellte der Bundestrainer fest. Die aber kann er nicht unter seinem noch immer übergroßen Schnauzbart hervorzaubern. Sie sind zurzeit verletzt -Êwie die Lemgoer Daniel Stephan und Markus Baur. Und niemand weiß, ob sie und die sieben anderen vermeintlichen Stammkräfte, die Samstag fehlten, bis zur EM im Januar in der Schweiz noch fit werden. Brand hofft das Beste, er habe er aber aufgegeben, »sich mit Eventualitäten« zu beschäftigen.
Die anhaltende Verletzungsmisere hat ihre Spuren hinterlassen: »Ich mache keine Jubelsprünge ob der Situation. Ich bin auch mal ein bisschen down und sage: Warum?«, gab Brand in Halle zu.
Gedanken an eine Titelverteidigung bei der EM in zwölf Wochen verbieten sich somit von selbst: »Wir gehören nicht zum Favoritenkreis«, sagte der Gummersbacher ganz direkt, »und auch die anderen Nationen werden uns nicht dazu zählen.«
Somit dürften die kontinentalen Titelkämpfe, auf die sich die DHB-Auswahl unter anderem auch in Halle (Ende November) vorbereitet, nicht mehr als eine Durchgangsstation zur WM 2007 im eigenen Land sein. Dann aber will, soll und muss der deutsche Handball um den Titel mitspielen.
Wie sehr die Zuschauer in dieser Region jenem WM-Spektakel entgegenfiebern, bei dem Ostwestfalen mit dem Gerry Weber Stadion als Austragungsort von sieben Spielen und als Quartier der deutschen Nationalmannschaft beteiligt ist, zeigte sich am Halbfinaltag der »Mini-WM«. Obwohl sportlich nach den beiden deutschen Auftaktniederlagen bedeutungslos, waren 8700 Zuschauer -Êfast genau so viele wie in der vergangenen Woche beim sportlich durchaus interessanten DFB-Pokalspiel des Fußball-Bundesligisten Arminia Bielefeld - Êin das inzwischen nahezu winterfeste Tennisstadion gekommen.
Das gefiel auch dem Bundestrainer: »Hier war es richtig schön. Da kann man sich schon freuen, wenn man hier bei der WM spielt«, meinte Brand. Und wenn der 53-Jährige mit seinem gutmütigen Bass diese Worte hervorbrummt, dann darf das getrost als besondere Auszeichnung verstanden werden. Zumindest in dieser Hinsicht war die Haller WM-Generalprobe ein voller Erfolg.

Artikel vom 31.10.2005