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»Nur Besitzstand
soll gesichert sein«

Tarifkonflikt Bethel und Johanneswerk

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Mit frischem Mut sehen die Arbeitnehmer der Bodelschwinghschen Anstalten und des Johanneswerks dem Fortgang der Tarifverhandlungen entgegen. Gestern übergaben sie der Arbeitsrechtlichen Kommission 14 000 Unterschriften, um ihre Forderung nach Übernahme des TVöD zu bekräftigen.

»Wir fordern ja nicht mehr Geld, sondern wollen lediglich Erreichtes sichern«, erklärte gestern Roland Brehm, Vorsitzender der Gesamtmitarbeitervertretung (MAV) Bethel. Werde, wie gewünscht, der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) übernommen, bedeute dies in den meisten Fällen - mittelfristig - sogar eine Senkung der Bezüge, ergänzte Georg Neumann, Vorsitzender der Gesamt-MAV Johanneswerk. In realistischer Einschätzung der wirtschaftlichen Lage gehe man also mit Einführung des TVöD an die Schmerzgrenze.
Die Mitarbeiter von Kirche und Diakonie werden in ihrem Vorhaben auch von den Angehörigen der in Bethel und Johanneswerk betreuten Menschen unterstützt. Wie die MAV fürchten auch sie die deutliche Verschlechterung der Qualität der Pflege, wenn sich die Positionen der Arbeitgeber durchsetzen: längere Wochenarbeitszeit mit immer weniger und immer schlechter bezahltem Personal.
»Wenn die großen Wohlfahrtsorganisationen einen eigenen Tarif unterhalb des TVöD-Niveaus zulassen, setzen wir republikweit eine Spirale in Gang, die die angemessene soziale Fürsorge gefährdet«, sagte Brehm. Dann käme es zu einem ähnlichen Lohndumping wie in der Baubranche - der gesamtgesellschaftliche Schaden werde gewaltig sein.
Es sei mitnichten im Sinne der kirchlichen Arbeitgeber, wenn sie das Problem aussäßen, meinte Brehm und nannte zwei Beispiele: Verheirateten-Ortszuschlag (bislang je zur Hälfte vom jeweiligen Arbeitgeber bezahlt) und Arbeitszeiten: In vielen Fällen müsse die Kirche den vollen Ortszuschlag zahlen, wenn sie ihren nach BAT-KF (Angestelltentarif Kirchliche Fassung) bezahlten Mitarbeiter weiter nach diesem Tarif entlohnt.
Zweitens sei ab dem 1. Januar laut Europäischem Gesetz jede Mehrarbeit - also auch der in Bethel und Johanneswerk übliche Bereitschaftsdienst - als Überstunde zu entlohnen, wenn keine andere Tarifregelung existiert - nicht BAT-KF, wohl aber TVöD enthöbe Kirche und Diakonie dieser finanziellen Mehrbelastung.
»Der TVöD, auch wenn er nicht 1:1 übernommen wird, muss unsere Leitwährung sein«, sagte Ludger Menebröcker von der MAV des Ev. Krankenhauses Bielefeld. »Die von Bodelschwinghschen Anstalten und das Johanneswerk müssen einen Mindeststandard halten, sonst tragen wir den Konkurrenzkampf auf dem Rücken der zu betreuenden Menschen aus.«
Die MAV haben bereits Kontakt zu den Betriebsräten anderer Wohlfahrtsverbände aufgenommen. Signal: Man lasse sich nicht mehr gegeneinander ausspielen. Droht ein Streik? »Alles ist vorstellbar«, sagt Brehm salomonisch.

Artikel vom 28.10.2005