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»Man hat die Heiligen abgebaut und ist darüber arm geworden«: Erzbischof Hans-Josef Becker.

»Die Heiligen kommen wieder«

Erzbischof Hans-Josef Becker zu Allerheiligen - Vorbild für alle Menschen

»Die Heiligen kommen wieder.« Mit diesen prägnanten Worten prognostizierte der Historiker Walter Nigg bereits 1973 eine Renaissance des Religiösen.

In einem Büchlein über Wege einer zeitgemäßen Heiligenverehrung wird Nigg konkreter: »Die Heiligen kommen allerdings nicht in der gleichen Weise wieder wie früher«. Und: »Vor allem dürfen wir sie nicht mehr einseitig auf die Nutzanwendung reduzieren.« Was steht dem Autor da vor Augen? Vielleicht eine etwas absonderliche, in den Bereich des Magischen hineinreichende Heiligenverehrung, bei der unsere Vorbilder im Glauben als Patrone in allen möglichen Belangen des täglichen Lebens, von den Unbilden der Natur bis hin zu den verschiedenen Plagen des Leibes und der Seele, angegangen werden. Kein Wunder, dass viele aufgeklärte Zeitgenossen sich von einem solchen Verständnis der Heiligen abwenden!
Ein Blick in die jüngere Geschichte des kirchlichen Lebens bestätigt eine weitere Beobachtung Walter Niggs: »Von der ganzen Bilderstürmerei blieb nur ein großer Scherbenhaufen übrig. Wie die Menschen mit dem Trümmerhaufen von blind zerschlagenen Idealen fertig werden sollen, ist eines der schweren Probleme unserer Zeit. Man hat die Heiligen abgebaut und ist darüber arm geworden.«
Hier wird deutlich, was übrigens nicht nur für unsere Beziehung zu Heiligen, sondern zu Vorbildern in Kultur, Religion und Gesellschaft überhaupt gilt: Der Sturz der Autoritäten ist das eine. Der Aufbau neuer und tragfähiger Ideale ist das andere - und zwar ein äußerst schwieriges Unterfangen!
Bei meinem letzten Rombesuch Anfang Oktober dieses Jahres habe ich erfahren, was Nigg mit seinem Wort »Die Heiligen kommen wieder« gemeint haben könnte: Während der Seligsprechung des »Löwen von Münster«, Clemens August Kardinal von Galen, wurde transparent, was christliche Heiligkeit auch heute anziehend machen kann. Kardinal von Galen wurde, getragen von einem unerschütterlichen Glauben an die Gegenwart Gottes, zu einem mutigen Wortführer des Widerstands gegen die Verbrechen der Nazi-Diktatur.
Seine unerschrockenen Predigten gegen das Euthanasie-Programm des Hitler-Regimes im Sommer 1941 erwuchsen aus einem Gottvertrauen, das ihm eine so große innere Freiheit schenkte. »Nec laudibus - nec timore«, also weder durch Schmeicheleien noch durch Einschüchterung, ließ er sich beeindrucken. Im Gegenteil: Kardinal von Galen folgte konsequent dem Ruf seines Gewissens, in dem er die Stimme Gottes hörte. Auf diese Weise wurde er zu einem »Transparent Jesu Christi« (W. Nigg).
Damit ist er ein bleibendes Vorbild für alle Menschen, die im Geiste Jesu Christi gegen die Verletzung der Menschenwürde im Großen wie im Kleinen protestieren. Ein solches Engagement ist, obwohl auf konkrete Missstände der jeweiligen Zeit bezogen, in gewisser Weise zeitlos. Wenn auf diese stets aktuelle Weise die Heiligkeit des erlösten Menschen aufscheint, dann kann das christliche Projekt »Heiligkeit« wieder aufgebaut werden Dann begegnen uns keine »abgehobenen« Heiligengestalten, sondern bodenständige und gerade dadurch überzeugende Frauen und Männer in der Nachfolge Jesu.

Artikel vom 01.11.2005