28.10.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Elf Häftlinge sterben bei Brand
am Amsterdamer Flughafen

Ursache zunächst noch unklar - Pro Asyl beklagt Trend zu Abschiebehaft

Den Haag (dpa). Bei einem Großbrand in einem Zellentrakt des Amsterdamer Flughafens Schiphol sind in der Nacht zum Donnerstag elf ausländische Häftlinge ums Leben gekommen. Politiker reagierten entsetzt und forderten eine gründliche Aufklärung.Insassen stehen außerhalb des brennenden Gefängnisses am Amsterdamer Flughafen. In dem Zellenkomplex waren 350 Menschen inhaftiert, zumeist Rauschgiftschmuggler und Abschiebehäftlinge. Foto: Reuters
Ein Häftling warf dem Wachpersonal zögerliches Verhalten vor. Die Ursache des verheerenden Feuers, das zu den schwersten Brandkatastrophen der vergangenen Jahrzehnte in den Niederlanden zählt, war zunächst noch unklar.
Um kurz nach Mitternacht war die Feuerwehr zu dem in Flammen stehenden Gefängnis im östlichen Bereich des riesigen Flughafens geeilt. In dem Gebäudeteil, in dem das Feuer entstanden war, liegen 24 Zellen, in denen sich 43 Häftlinge aufhielten. In dem gesamten Komplex waren zu dieser Zeit 350 Gefangene, zumeist mutmaßliche Rauschgiftschmuggler und illegale Immigranten.
Die 60 Feuerwehrleute brauchten drei Stunden, um den Brand unter Kontrolle zu bekommen. Für elf der Gefängnisinsassen kam jede Hilfe zu spät. Von 15 Verletzten wurden am Morgen noch vier in Kliniken behandelt, einer von ihnen in kritischem Zustand.
Der Bürgermeister der Gemeinde Haarlemmermeer, auf deren Gebiet der wichtigste Flughafen der Niederlande liegt, kündigte auch eine unabhängige Untersuchung an.
Schon kurz vor der Eröffnung des Zellenkomplexes vor drei Jahren hatte es dort gebrannt. Abgeordnete forderten eine Überprüfung der Sicherheitseinrichtungen.
In dem Gefängnis gibt es keine Einrichtung zur zentralen und gleichzeitigen Öffnung aller Zellen im Notfall. Die Wärter mussten alle Türen einzeln entriegeln, um die Insassen zu retten. Ein Häftling beschuldigte das Personal, das Feuer unterschätzt und die Zellen zu spät geöffnet zu haben.
Der Zellenkomplex auf dem Schiphol-Gelände war vor drei Jahren in aller Eile aus Fertigbauteilen errichtet worden. Anlass war die stark gestiegene Zahl von Rauschgiftschmugglern, die zumeist mit verschluckten Drogen auf dem Flughafen festgenommen werden.
Ministerpräsident Jan Peter Balkenende äußerte sich entsetzt. »Ich bin erschrocken über das Ausmaß dieser Katastrophe«, sagte er. Justizminister Piet Hein Donner, bei dem die Zuständigkeit für das Gefängnis liegt, sowie Ausländer-Ministerin Rita Verdonk besuchten am Morgen den Unglücksort.
In die Ermittlungen schaltete sich auch der unabhängige, aber offizielle »Untersuchungsrat für die Sicherheit« ein, der erst in diesem Jahr gegründet wurde. Er wird geleitet von Pieter van Vollenhoven, einem Schwager von Königin Beatrix. Der Rat soll die Ursachen von Katastrophen und schweren Unfällen untersuchen und Vorschläge für die Verbesserung von Schutzmaßnahmen machen.
Der »Verein für Menschen in Abschiebehaft Büren« hat die Aussetzung aller Abschiebeflüge gefordert, bis die Sicherheitsmaßnahmen an sämtlichen Flughäfen, über die deutsche Abschiebehäftlinge transportiert werden, überprüft worden seien. Amsterdam mache wieder einmal deutlich, wie unzureichend Abschiebegefängnisse gegen Brände gesichert seien. Auch in der Justizvollzugsanstalt Büren (Kreis Paderborn), dem größten Abschiebegefängnis Europas, sei 1999 ein Häftling verbrannt. Genauso wie in Amsterdam habe ein Gefangener erleben müssen, dass trotz seiner Hilferufe das Personal zu spät reagiert habe.
Die Organisation »Pro Asyl« hat angesichts der Amsterdamer Katastrophe den europaweiten Trend zu immer mehr Abschiebehaft beklagt. »Die Haftanstalten sprießen überall wie Pilze aus dem Boden. Das ist ein eskalierender Prozess«, sagte Europareferent Karl Kopp in Frankfurt/Main.
Abschiebegefängnisse seien soziale Elendszonen und zumindest potenzielle Orte für Menschenrechtsverletzungen, sagte Kopp, der gleichzeitig Vorstandsmitglied im Europäischen Flüchtlingsrat ist. Von außen sei das Geschehen in den Einrichtungen nicht zu beurteilen. Unabhängige Organisationen forderten daher seit längerem, dass die Möglichkeit des Einblicks geboten werden müsse.
Insbesondere die Niederlande und Großbritannien hätten ihre zentralen Einrichtungen an den Flughäfen ausgebaut, sagte Kopp. Die in Deutschland praktizierte dezentrale Unterbringung der Abschiebehäftlinge sei letztlich nur eine andere technische Lösung. Damit vermeide man, dass an den Flughäfen die Kehrseite der Globalisierung sichtbar werde. »Auch bei uns werden die Menschen zu häufig, zu lange und auf unklarer Rechtsgrundlage festgehalten.«

Artikel vom 28.10.2005