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Gewaltbereite Fans im Abseits

Vor der WM proben 800 Polizisten den Ernstfall - Beamte als Hooligans

Von Christian Althoff und
Wolfgang Wotke (Fotos)
Stukenbrock (WB). Acht Monate vor Anpfiff der Fußball-Weltmeisterschaft haben gestern 800 Polizisten aus Nordrhein-Westfalen in Schloß Holte-Stukenbrock (Kreis Gütersloh) den Ernstfall geprobt.
Polizeischüler Peter Hajdamowicz (24) spielt einen friedlichen deutschen Fußballfan.Polizisten durchsuchen und fotografieren jeden Hooligan.
Kommissarin Birgit Wachtmann ist fußballerfahren.

Birgit Wachtmann (42) hat als Kommissarin bei der Bielefelder Einsatzhundertschaft schon in vielen Fußballstadien mit Hooligans gerungen. Gestern lernte die Polizisten das Einsatzgeschehen aus Sicht der Gegenseite kennen: Sie schlüpfte wie viele ihrer Kollegen in die Rolle eines gewaltbereiten Fans und griff andere Hooligans an. »Mit solchen Szenen müssen alle Städte rechnen, die während der Weltmeisterschaft Großbildleinwände aufstellen. Deshalb proben wir den Ernstfall«, erklärte Polizeisprecher Martin Schultz aus Bielefeld.
Auf dem Gelände der Polizeischule Stukenbrock simuliert ein großes weißes Laken eine Videoleinwand. Bilder sind nicht zu sehen, aber der Ton ist echt: Aus gewaltigen Boxen schallt die Reportage des Länderspiels zwischen Deutschland und der Slowakei, das am 3. September mit einem 2:0-Sieg für die Slowaken zu Ende gegangen war. Mehrere hundert Fans stehen vor der Leinwand und johlen - wie Polizeischüler Niklas Delcour aus Ahaus. »Ich soll einen friedlichen Zuschauer spielen«, ruft der 26-Jährige. Er hat eine Deutschlandfahne gebastelt und sich die Nationalfarben auf die Wangen gemalt hat: »Wenn schon, denn schon!«
Plötzlich explodieren Knallkörper. Hooligans werfen Plastikbecher, die im Ernstfall Steine wären, und zünden eine Nebelkerze. Weiße Wolken hüllen die Zuschauer ein. Sie versperren den Polizisten die Sicht, bieten ihnen aber auch Deckung. Denn wie aus dem Nichts tauchen plötzlich zwei Beamte in Einsatzanzügen auf und reißen den überraschten Mann aus der Menge, der den Nebelkörper gezündet hatte. Er ist der erste von 65 Störern, die an diesem Vormittag überwältigt werden. Mancher wehrt sich dagegen und kann erst mit vereinten Kräften und Handfesseln ruhiggestellt werden.
Jeder Störer wird durch einen Trichter geschickt, den Beamte aus Einsatzwagen gebildet haben. Hier fotografieren und durchsuchen Polizisten jeden Festgenommenen und klären, ab er nur einen Platzverweis erhält oder als Straftäter nach Bielefeld gebracht wird, wo die Großgaragen des Präsidiums als Gefangenensammelstelle dienen.
»Ich bin zufrieden«, erklärt Übungsleiter Hans-Werner Göll nach Ende der Veranstaltung, die von Vertretern des NRW-Innenministeriums und zahlreicher Polizeibehörden beobachtet worden war. An einigen Ecken habe es zwar gehakt (»Die Überprüfung der Personalien muss schneller klappen«), sagte der Polizeidirektor. »Aber es ist ja der Zweck der Übung, Schwachstellen nicht erst während der WM festzustellen.«

Artikel vom 27.10.2005