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Beste Hilfe ist keine Hilfe
Lesertelefon zum Thema Alkoholmissbrauch - viele Angehörige betroffen
Das Thema Alkoholmissbrauch berührt offenbar viele Menschen. Riesengroß jedenfalls war das Interesse am jüngsten WESTFALEN-BLATT-Lesertelefon.
Sowohl Menschen, die das Gefühl haben, zu viel zu trinken, als auch Ehepartner oder Eltern von Alkoholikern nutzten die Gelegenheit zum (anonymen) Gespräch mit der Psychologin Brigitte Ganse und dem Diplom-Sozialarbeiter Klaus Koldin, Berater bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Hier die häufigsten Fragen und die Experten-Antworten:

Meine Kinder und ich leiden sehr darunter, dass mein Mann fast jeden Abend trinkt. Ein bisschen verstehe ich ihn auch, weil er viel Stress hat. Kann ich ihm helfen, mit dem Trinken aufzuhören? Die beste Hilfe wäre keine Hilfe. Das klingt vielleicht paradox, aber es ist so. Wenn Sie ihm weiter helfen, mit den Schwierigkeiten fertig zu werden, die durch das Trinken entstehen, wird er keinen Grund sehen, von der Flasche zu lassen. Erst wenn er merkt, dass Sie sein Trinken nicht mehr tolerieren und ihm die Konsequenzen knallhart klarmachen, wird sich vielleicht in seinem Kopf etwas bewegen.

Gibt es eigentlich eine Grenze, wieviel Alkohol man täglich trinken kann, ohne sich zu schaden? Trinkt man täglich Alkohol, kann sich daraus leicht eine Gewohnheit entwickeln. Deshalb sollte man mindestens zwei Tage in der Woche verzichten. Wenn Männer weniger als drei Gläser und Frauen weniger als zwei Gläser Alkohol trinken, spricht man von einem risikoarmen Konsum. Was die Größe der Gläser betrifft: bei Bier 0,25 Liter, bei Wein 0,125 Liter, bei Schnaps 0,04 Liter. Dies bezieht sich auf gesunde Erwachsene. Bei Krankheit und Medikamenten verbietet sich Alkohol.

Abends trinke ich gern zwei bis drei Gläser Rotwein, um besser einzuschlafen. Bin ich deshalb abhängig? Für Sie als Frau sind täglich drei Gläser Rotwein schon riskant. Vielleicht probieren Sie andere Formen von Entspannung: einen abendlichen Spaziergang, ein Aromabad, einen Saunabesuch. Oder Sie kochen sich einen Kräutertee aus Melisse, Baldrian, Johanniskraut oder Pfefferminze. Man schläft zwar mit Alkohol im Blut oft schneller ein, aber der Tiefschlaf ist gestört, damit nicht erholsam.

Bei unseren Familienfeiern sind auch immer viele Jugendliche dabei. Wie viel Alkohol kann man ihnen zubilligen? Muss es unbedingt Alkohol sein? Oft schmecken alkoholfreie Mixgetränke oder Fruchtsäfte Jugendlichen besser. Junge Leute sollten so spät wie möglich mit dem Alkoholkonsum beginnen. Alkohol ist ein Zellgift, das die Entwicklung der jugendlichen Gehirnzellen spürbar schädigen kann. Merkfähigkeit, Gedächtnisleistung und Konzentrationsfähigkeit lassen nach. Weil Jugendliche schlechter Alkohol abbauen können als Erwachsene, bekommen sie schneller eine Alkoholvergiftung. Außerdem kann sich bei jungen Leuten die Vorstellung festsetzen, dass manches mit Alkohol besser zu bewältigen ist. Das kann ein erster Schritt zu späterer Alkoholabhängigkeit sein.

Meine Tochter hat einen drei Monate alten Sohn und stillt ihn noch. Sie trinkt aber schon wieder Alkohol. Kann man das tolerieren? Nein, schon geringe Mengen Alkohol können sich sehr schädlich auf das Baby auswirken. Der Alkohol geht in die Muttermilch über. Die Milch hat dann annähernd den gleichen Alkoholgehalt wie das Blut der Mutter. Der Säugling kann Alkohol nur sehr schwer abbauen, die Entwicklung innerer Organe oder die Reifung des Gehirns kann geschädigt werden.

Mein Mann trinkt ziemlich viel. Ich möchte ihm helfen, den Alkoholkonsum zu verringern. Aber wie? Sagen Sie ihm, dass Sie Angst um ihn haben. Reden Sie über Ihre Gefühle. Vielleicht gibt das den Ausschlag, dass Ihr Mann Hilfsangebote annimmt. Es gibt verschiedene professionelle Hilfsmöglichkeiten, etwa Suchtberatungsstellen oder Selbsthilfegruppen. Die Hauptarbeit muss er aber allein leisten. Sie selbst können ihm kaum helfen.

Meine Mutter kommt vom Alkohol nicht los. Aber sie soll doch nicht mehr trinken. Was kann ich nur tun? Alkoholismus ist eine Krankheit. Wirklich helfen kann nur ein ausgebildeter Suchtberater. Diese Therapie muss Ihre Mutter aber wollen, mit Zwang ist da nichts zu machen. Ich rate Ihnen, sich mit der Situation nicht zu sehr zu belasten. Kümmern Sie sich auch um sich selbst. Lassen Sie los. Versuchen Sie, selbst wieder Lebensfreude zu gewinnen. Wenn Sie sich verändern, verändert sich vielleicht auch Ihre Mutter.

l Die wichtigsten Hilfs-Organisationen sind das Blaue Kreuz, die Anonymen Alkoholiker, der Guttempler Orden und der Kreuzbund. Für Angehörige von Alkoholikern bietet Al-Anon Beratung. Am schnellsten finden Sie Ansprechpartner im örtlichen Telefonbuch oder Internet.

Artikel vom 19.11.2005