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Aha-Erlebnis beim
Blick ins Riesenloch

Niemand wagt, die Sparinstrumente zu zeigen

Von Reinhard Brockmann
Berlin (WB). »Wir haben kein Geld - und es ist noch sehr viel weniger, als wir uns haben vorstellen können.« Das Aha-Erlebnis aus der zweiten großen Koalitionsrunde schwang gestern in Berlin noch nach.

Nicht ohne Bitterkeit brachte Steffen Kampeter die Botschaft vom Montagabend auf den Punkt. Eigentlich keine Überraschung für den Haushaltspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion aus Minden, dennoch sei der Blick ins 60 Milliarden-Loch für die politische Gesamtschau wichtig gewesen.
Diplomatisch sprach der wichtigste ostwestfälische Zuarbeiter für die Koalitionäre von der »notwendigen Annäherung an die Wahrheit«. Kampeter ist Mitglied der Koalitionsarbeitsgruppe Finanzen und sieht inzwischen eine »strukturelle Unterdeckung« der kommenden Bundeshaushalte von mehr als 60 Milliarden.
Dabei ist für den bisherigen Oppositionsmann wenig tröstlich, dass die Schicksalszahl seinen alten Prognosen entspricht.
Bevor es an die »Instrumente« gehe, wie Mehrwertsteuererhöhung oder Streichung der Eigenheimzulage, wollten die Koalitionäre erst einmal des Gesamtrahmen ausloten. Kampeter: »Im Ergebnis werden wir einen finanz- und wirtschaftspolitischen Ansatz haben, der an der Ausgabenseite und mehr noch an der Einnahmeseite Veränderungen vorsieht.
Die Sozialdemokraten denken eher an Steuererhöhungen, wir mehr an Ausgabenabsenkungen.« Wenn man sich zusammenraufe, ist Kampeter gewiss, werde unter dem Strich Konsolidierung stehen.
Eine schnelle Einigung etwa auf die Streichung der Eigenheimzulage, wie vom SPD-Kollegen Olaf Scholz erwartet, sieht Kampeter nicht. Scholz hatte darauf hingewiesen, beide Seiten ließen in ihren Wahlprogrammen erkennen, dass die Zulage verzichtbar sei. Das bewertet Kampeter schon anders: Die Union wollte nur darauf verzichten, um eine andere familienpolitische Leistung zu sichern.
Interessanter als die einzelne Maßnahme sei derzeit noch das Gesamtpaket. Es gehe darum, den gemeinsamen Handlungsspielraum abzustecken.
Peer Steinbrück sei aufgefordert einen Plan vorzulegen, wie Konsolidierung genau aussehen könne. Klar sei auch, dass zur Abwendung des Staatsbankrotts weitere Vermögenswerte nicht mehr verscherbelt werden könnten, weil es nichts mehr zu verkaufen gibt.
Bis zu einer Einigung sieht Kampeter »noch ein schwieriges Stück Weg«, die Annäherung an die Wahrheit müsse auf beiden Seiten erfolgen. Immerhin habe sich auch Franz Müntefering zur Konsolidierung bekannt und durch die Berufung von Steinbrück das richtige Zeichen gesetzt.
Während die Union gestern davon ausging, dass Steinbrück in der kommenden Woche seine Streichliste vorlegt, klang das auf SPD-Seite anders: Man müsse die Vorstellungen beider Seiten abgleichen und zu einem Kompromiss kommen, hieß es. Mehr nicht.
Union und SPD hatten sich am Montagabend darauf verständigt, den Bundeshaushalt 2007 im Vergleich zum laufenden Jahr um 35 Milliarden Euro zu kürzen, um die Defizitvorgaben der EU von maximal 3 Prozent wieder einzuhalten. Einzelheiten wurden nicht genannt.
Der Abstand zwischen Einnahmen und Ausgaben wurde für 2005 mit 60 Milliarden und für 2006 mit 63 Milliarden beziffert.

Artikel vom 26.10.2005