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Tragödie nach
der Katastrophe

Prozess um getöteten Fluglotsen

Zürich (dpa). Im Prozess um den gewaltsamen Tod eines Fluglotsen nach der Flugzeugkatastrophe von Überlingen mit 71 Toten hat der russische Angeklagte gestern in Zürich ein Teilgeständnis abgelegt.
Für den Landsmann angereist: Präsident Taimuras Mamsurow. Foto:Reuters

Witali K. hatte bei dem Unglück am 1. Juli 2002 Ehefrau und beide Kinder verloren. Deshalb habe er den Mitarbeiter der Flugsicherung skyguide, der in der Unglücksnacht Dienst hatte, am 24. Februar 2004 in dessen Haus in Zürich aufgesucht, gab der 49-Jährige gestern beim Prozessauftakt zu.
Er habe aber nicht geplant, den 36-jährigen Dänen zu töten. »Ich wollte nur eine Entschuldigung.« An die Bluttat könne er sich nicht erinnern. Das Obergericht des Kantons Zürich muss in dem Prozess klären, ob es ein lange geplanter Racheakt oder eine Tat im Affekt war. Das Urteil soll bereits heute gesprochen werden. Die Staatsanwaltschaft lastet Witali K. vorsätzliche Tötung an und forderte gestern 12 Jahre Haft. Er soll den Fluglotsen als Mitverantwortlichen für das Unglück erstochen haben.
»Ich beweine meine Kinder jeden Tag«, sagte der russische Bauingenieur Witali K. mit belegter Stimme. Vor Gericht zeigte er sich als gebrochener Mann. Bewegt und mit längeren Pausen schilderte er den Ablauf am Tatort in Zürich: Er habe dem Fluglotsen Fotos seiner ums Leben gekommenen Kinder zeigen wollen. »Ich wollte nur eine Entschuldigung. Wut oder Hass habe ich nicht empfunden.« Der Lotse habe ihn aber zurückgewiesen - die Fotos landeten auf dem Boden. »Ich fühlte mich beleidigt. Ich hatte das Gefühl, dass meine Kinder erneut in den Dreck gezogen wurden.«
Gegen den skyguide-Chef Alain Rossier erhob Witali K. vor Gericht Vorwürfe. Rossier sei der Hauptverantwortliche für die Flugzeugkatastrophe, habe sich aber in keiner Form entschuldigt. Ein vereinbartes Treffen habe skyguide kurzfristig abgesagt.
Staatsanwaltschaft und Verteidigung forderten Witali K. auf, sich seinerseits bei der Familie des Lotsen zu entschuldigen - das lehnte er aber ab und sagte nur: »Ich habe Mitleid mit den Waisenkindern.« Der 36-jährige Lotse hinterließ Frau und zwei kleine Kinder.
Aus Solidarität mit dem Angeklagten versammelten sich in Moskau etwa 20 Menschen vor der Schweizer Botschaft. Die Angehörigen weiterer Absturzopfer forderten Freispruch. Der Präsident der russischen Teilrepublik Nordossetien, Taimuras Mamsurow, kam mit einer Delegation eigens nach Zürich. Er erwarte von den Richtern »Gerechtigkeit und eine humane Entscheidung«, sagte er. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaften wegen der Flugzeugkollision sind unterdessen nicht abgeschlossen. Ermittelt wird gegen skyguide-Verantwortliche wegen Verdachts der fahrlässigen Tötung in 71 Fällen.

Artikel vom 26.10.2005