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Statussymbol frisst Taschengeld auf

Neun von zehn Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen haben ein eigenes Mobiltelefon

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). »Handys im Kindergarten werden bald ein völlig normales Bild sein«, sagt Christian Palentien voraus. Die Wirtschaft suche sich immer jüngere Zielgruppen, betont der Wissenschaftler im »Zentrum für Kindheits- und Jugendforschung« der Universität Bielefeld. Die Statistiker des Landes Nordrhein-Westfalen fanden heraus: Schon jetzt telefoniert jedes zehnte Kind im Grundschulalter mobil.
Kinder und Jugendliche halten sich das Handy oft und gern ans Ohr. Die elfjährigen Mädchen Latifa, Lea und Lara (von links) vom Max-Planck-Gymnasium in Bielefeld sind von den technischen Möglichkeiten des Alleskönners fasziniert und schreiben fleißig SMS. Foto: Carsten Borgmeier
Neun von zehn Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren haben ein eigenes Mobiltelefon, ermittelte das Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik in Düsseldorf außerderm bei der EU-weiten Studie über die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien. Mit 90 Prozent liege der »Versorgungsgrad« über dem bei Erwachsenen (75 Prozent). Bei den 10- bis 13-jährigen Jungen und Mädchen in NRW hätten bereits zwei Drittel (540 000) ein Mobiltelefon in der Tasche.
»Das Handy liegt auf Platz 1 der Ausgabenliste und verschlingt eine Menge Geld«, sagte Kindheits- und Jugendforscher Palentien gestern dieser Zeitung. Um das neueste Handy und die angesagtesten Klingeltöne zu finanzieren, seien Jugendliche in einzelnen Fällen sogar dazu bereit, das Rauchen aufzugeben. Das Mobiltelefon habe sich zum unverzichtbaren Statussymbol entwickelt, für das man sich notfalls auch verschulde.
Laut der aktuellen Repräsentativbefragung des Instituts für Jugendforschung (IJF, München) zur »Finanzkraft der 13- bis 17-Jährigen in der Bundesrepublik Deutschland 2005« gerieten 14 Prozent der Schuldner in diesem Alter wegen der Handykosten in finanzielle Probleme. Weil »Sponsoren« wie Eltern und Verwandte wegen der Wirtschaftskrise weniger Geld zur Verfügung hätten, seien die jährlichen Einnahmen der Jugendlichen von 6,1 Milliarden Euro im Jahr 2004 auf 5,1 Milliarden in 2005 und damit auf 92 Euro im Monat gesunken.
Minderjährige leihten sich bei Verwandten und Freunden Geld, um das Mobiltelefon finanzieren zu können, weiß Heiko Wichelhaus von der Verbraucherzentrale NRW in Düsseldorf. Bei ihren Geldproblemen und der Verschuldung junger Erwachsener spiele das Handy eine »immer größere Rolle«. Diese Entwicklung spiegelten die Gespräche in den Beratungsstellen wider, sagte Wichelhaus dieser Zeitung. Das Handy übe auf Kinder und Jugendliche enorme Faszination aus. »Bei ihnen sind die SMS-Kurzmitteilungen inzwischen die angesagteste Form der Kommunikation«, erklärt Palentien und ergänzt: »Jugendliche lieben dieses Multifunktionsgerät.«
Auf Spielereien fahren die Heranwachsenden ab. »Klingeltöne haben dem Geschäft einen starken Push gegeben«, berichtet die Sprecherin des Verbandes der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM), Eva-Maria Ritter. Zudem seien in diesem Jahr 100 Millionen Urlaubsgrüße nicht per Postkarte, sondern per Bild (MMS) mit dem Handy verschickt worden. Darauf hinzuweisen, dass dieser Service nicht umsonst zu haben ist, also Kostenbewusstsein zu vermitteln, müssten Eltern und Lehrer übernehmen: »Sie müssen verantwortlichen Umgang mit dem Handy vorleben.«
Die Wirtschaft treibe Jugendliche nicht in die Schuldenfalle, betont der Jugendschutzbeauftragte von Debitel, Thomas Börner: »Wir gehen keinerlei Laufzeitverträge mit unter 18-Jährigen ein.« Er rät Eltern, darauf zu achten, dass der Nachwuchs nur Prepaid-Karten zum Abtelefonieren eines Gutachtens verwenden: »Mit der Karte kann man nie ins Minus geraten.« S.4: Kommentar

Artikel vom 25.10.2005