28.10.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Drehorgeln aus ganz Deutschland

50 Musikanten wollen das Einkaufserlebnis musikalisch versüßen

Knapp 50 Orgelmusikanten werden das Sonntags-Shopping in der Bielefelder City musikalisch »versüßen«. Die Musikanten sowie »Ferdi's Drehorgel-Orchester« haben mit ihren Instrumenten den Weg aus ganz Deutschland nach Bielefeld gefunden und verteilen sich zwischen Altstadt und rund um die Bahnhofstraße.

Das Spektrum der »Leierkastenmusik« wird dabei fast vollständig abgedeckt, vom alten Walzen-Leierkasten über die Lochbandorgeln bis zu den kleinen oder auch größere Lochbandorgeln. Auch zwei alte, restaurierte Kirmesorgeln werden in Bielefeld spielen (Jahnplatz und Kronenplatz).
Als Preußen König Friedrich (der Alte Fritz) die ersten Drehorgel-Gewerbekarten an seine Kriegsinvaliden verteilte, damit diese statt zu betteln, etwas Sinnvolleres tun, nämlich als Leierkastenmänner zu musizieren, dachte noch niemand an die Möglichkeiten, mehr als sechs Drehorgelstücke auf einem Datenträger (das war die Walze) zu speichern.
Auch in Österreich wurde diese Art der »Invalidenversorgung« von Kaiserin Maria-Theresia eingeführt um die Staatskasse zu entlasten. Dort hießen die Straßen-Musikanten »Werkelmänner«.
In Frankreich gab es ebenfalls die Leier, die dort »Orgue de Barbarie« genant wurde. Böse Stimmen behaupten, das es deutsche Orgeln mit »barbarischem Klang« gewesen sein sollten -ĂŠaber dies ist sicherlich aus den Zeiten von Beginn der deutsch-französischen Freundschaft.
In England wurde die sogenannte »Faß-Orgel« also »Barral-Orgel« auch in vielen Kirchen auf dem Lande eingesetzt, wo die Gemeinden nicht in der Lage waren, eine teuere Kirchenorgel zu kaufen. Auch heute werden Europaweit noch viele Kirchenkonzerte von Drehorgelspieler ausgerichtet, bei denen je nach Ansicht des Pfarrers oder Gemeinderates entweder nur klassische Stücke oder sogar Rock- und Pop für junge Gemeindemitglieder dargeboten wird.
Es dauerte immerhin auch fast 200 Jahre, bis in den 20-er Jahren dieses Jahrhunderts von Hollerith der Lochstreifen erfunden wurde und die Löcher im Papier die Nägel und Krampen auf der Walze ersetzten. Ein enormer Fortschritt, denn eine Walzenumdrehung dauerte 20 Sekunden gerade kurz genug, um den »Alten Dessauer«, also das Lied »So leben wir, so leben wir, so leben wir alle Tage« in einer Strophe zu spielen.
Der Lochstreifen war immerhin so lang, dass bis zu zehn Minuten Musik gemacht werden konnte und der Ausruf »Lieber Leierkastenmann, fang noch mal von vorne an« nicht mehr seine Existenzberechtigung hatte. Jetzt spielte der Leiermann zehn Minuten lang immer wieder unterschiedliche Stücke und konnte dann durch Auswechseln der Papierrolle weitere zehn Minuten musizieren. Bis zu acht bis zehn Rollen hatte der gut sortierte Orgelspieler immer dabei.
Bis zum nächsten Innovation-Sprung dauerte es nun noch etwa 50 Jahre, als in den Großrechnern der Industrie der Hollerithstreifen durch den Mikrochip abgelöst wurde. Zu dieser Zeit kam auch ein Drehorgelbauer auf die Idee, die Impulse, die nötig sind, um das Öffnen und Schließen der Pfeifen vorzunehmen, auf einem Mikrochip zu speichern. Nun konnten bis zu 120 Musikstücke, also bis zu vier Stunden Musik, ohne sich zu wiederholen gespielt werden. Einen großen Nachteil hat diese letztere Geschichte natürlich dadurch, dass man von einer einzigen Firma abhängig war, die diese Mikro-Boxen produziert und besonders in Nordrhein-Westfalen war es unbefriedigend, wenn ein »Kirchenmusiker« aus dem Harz viel schwere Musik produzierte, wir aber hier eigentlich lebenslustigere und flotte Musik bevorzugen.
Ferdinand Bischoff (Gründer von Ferdi's Drehorgel-Orchester) kam daher auf die Idee, das allermodernste aus der Bühnentechnik, das »MIDI Verfahren« für seine Drehorgeln nutzbar zu machen. Hierzu waren die Entwicklung von vielen zusätzlichen Elektronik Bauteilen erforderlich die in einer entsprechenden Computer-Steuerung zusammengefasst wurden, um direkt aus dem Computer Noten an die Drehorgeln weiterzugeben und die Befehle zu steuern. Dieses neue System versetzte FB nun in die Lage, eigene flotte Musik gemeinsam mit dem Arrangeur Heinz Lehmann zu produzieren und immer aktuelle Titel aus der neuesten Hitparade neu ins Musikprogramm aufzunehmen, so wie es vor 100 Jahren die großen Komponisten für die alte Drehorgel taten um ihre Musikstücke einem breiten Publikum zu präsentieren und die Noten zu verkaufen.
Ferdis Drehorgel-Orchester spielt nun nicht nur Stücke von Vivaldi, Johann Strauß und die üblichen Berliner Lieder von Walter Kollo, sondern auch Stücke von den Prinzen bis »Go West«.

Artikel vom 28.10.2005