26.10.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Sie istwiederda

Dresden (dpa). Die wiedererstandene Dresdner Frauenkirche ist mehr als die Erfüllung eines Traums: 60 Jahre und acht Monate nach Einsturz des Originalbaus wird am Sonntag nicht nur eine Kirche, sondern ein einzigartiges Versöhnungswerk geweiht. »Aus einer kleinen Schneeflocke ist eine Lawine geworden, die um den ganzen Globus rollte«, so Pfarrer Karl-Ludwig Hoch.

Der Theologe hatte mit dem Trompeter Ludwig Güttler und anderen den »Ruf aus Dresden« vom 12. Februar 1990 verfasst. Dieser zielte auf einen Wiederaufbau des protestantischen Gotteshauses »zu einem christlichen Weltfriedenszentrum im neuen Europa«. Bürgerinitiative und Stiftung wollten mindestens ein Drittel der auf 250 Millionen D-Mark geschätzten Baukosten aus Spenden aufbringen. Am Ende sind es 100 Millionen Euro - reichlich die Hälfte der Gesamtkosten von 179 Millionen Euro und drei Viertel der reinen Baukosten von 132 Millionen Euro.
Nach zähem Start flossen Großspenden von Unternehmen, schickten Menschen kleine und große Geldbeträge, erwarben Stifterbriefe und adoptierten Steine und Sitzplätze. Dazu kamen Sachleistungen wie die von Steinmetzen in ganz Deutschland. Fördervereine und -kreise bundesweit sammelten Geld und investierten es in ganze Bauteile, ehemalige Dresdner im westlichen Ausland warben für das Projekt. »Sie machten aus dem Anliegen von wenigen Enthusiasten eine Weltangelegenheit«, sagt Hoch
Der in den USA lebende Nobelpreisträger Günter Blobel gründete 1995 die »Friends of Dresden« und stellte 800 000 Euro seines Nobelpreis-Geldes zur Verfügung. Königin Elizabeth II. gab einen größeren Beitrag aus ihrer Privatschatulle und sammelte bei einem Benefizkonzert in Berlin 350 000 Euro.
Nach ihrem Staatsbesuch 1992 bildete sich in England der »Dresden Trust«. »Nach einer Kreuzigung kommt immer eine Neugeburt«, sagt dessen Vorsitzender Alan Keith Russel. Er ließ nach Originalunterlagen das Turmkreuz fertigen - von dem britischen Kunstschmied Alan Smith, dessen Vater als Pilot an der Bombardierung Dresdens im Februar 1945 beteiligt war. Die polnische Kleinstadt Gostyn, die im Krieg unter der deutschen Besatzung litt, stiftete eine Flammenschale. Dafür spendeten auch Hinterbliebene von 1942 in Dresden erschossenen Mitgliedern einer Widerstandsgruppe. Die niederländische Königin Beatrix erwarb beim Privatbesuch im Juni 1998 einen Goldenen Stifterbrief und übernahm die Patenschaft über den Schlussstein des inneren Portals.
Überschattet wurden die Erfolge vom Orgelstreit. Mehrere Jahre stritten Gegner und Befürworter einer möglichst originalgetreuen Rekonstruktion des Instruments von Gottfried Silbermann aus dem Jahre 1736. Die Entscheidung der Stiftung fiel für eine moderne Orgel im barocken Gehäuse. Die Erweiterung sei notwendig, um auch neuere Musikwerke spielen zu können. Die fertige Orgel sei »ein großartiges Instrument«, urteilt Landesbischof Jochen Bohl.
Ein Jahr früher als geplant wird sie nun erstmals öffentlich erklingen. Die Pläne für weitere Konzerte sind gemacht, Orchester und Solisten gebucht, die Tickets zum Teil ausverkauft.
Das wiedererrichtete Gotteshaus besteht zu etwa 43 Prozent aus historischem Steinmaterial. Von 7110 aus dem Trümmerberg geborgenen Fundstücken konnten nach der Rekonstruktion 3539 Stücke wieder in die Außenfassade eingebaut werden, sagte der Projektleiter Frauenkirche bei der Planungs- und Ingenieurgesellschaft IPRO, Karl-Heinz Schützhold. Zudem wurden 9500 Kubikmeter stehen gebliebene Ruinenteile integriert, was allein 34 Prozent der Gesamtmasse entspreche.
Die meisten Fundstücke sind im Erdgeschoss und der aufgehenden Wand zu finden, die wenigsten in der Kuppel, für die im Innern 30 Prozent Altsteinmaterial verwandt wurden. Insgesamt besteht das Kirchenbauwerk nach IPRO-Angaben aus 60 000 Tonnen Steinen. Es umfasst einen Raum von 85 760 Kubikmetern. Die Kirche hat bis zur Turmspitze eine Gesamthöhe von 91,23 Metern, eine Breite von 41,96 Metern und eine Länge von 50,02 Metern.
Mit einem maximalen Außendurchmesser von 26,15 Meter ist die imposante, massiv aus Sandstein gemauerte »Steinerne Glocke« die Steinkuppel mit der größten Spannweite nördlich der Alpen, sagte Schützhold. Sie bestehe aus einer dicken Außenschale mit einer Wandstärke zwischen 1,75 Meter und 1,19 Meter sowie einer Innenschale von 25 Zentimeter Dicke.
Galt die 1726 bis 1743 errichtete Kirche George Bährs bereits als »architektonisches Meisterwerk von Weltrang« und »ingenieurmäßige Glanzleistung des 18. Jahrhunderts«, so ist der größte Kuppelbau nördlich der Alpen nun auch Stein gewordene Versöhnung, Solidarität, Einheit und ein Zeichen neuer Hoffnung - geweiht »Soli Deo Gloria« (Gott allein sei Ehre). Seite 4: Leitartikel

Artikel vom 26.10.2005