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In Todesangst
vor »Wilma«

Monsterhurrikan prallt auf Yukatan

Von Franz Smets
Mexiko-Stadt (dpa). Viele Menschen in den nah an der Karibikküste von Cancun gelegenen Häusern standen bis zuletzt vor einer schweren Entscheidung. Was ist zu retten: Das nackte Leben - oder auch das Haus, die Möbel, die Teppiche?

Ihre Boote hatten die Bewohner von Mexikos Ferienküste auf der Halbinsel Yukatan bereits in die Mangrovenkanäle oder zur Insel Isla Mujeres gebracht. Dort sind sie sicher vor dem Sturm. So haben sie es immer gemacht.
Dann verbarrikadierten sie sich in ihren Häusern und warteten einfach ab. Die mexikanische Betonarchitektur widerstand bisher immer den Stürmen. Die Hütten der Armen allerdings nicht.
Menschen kamen nur bei den großen Katastrophen zu Schaden - wie 1988, als der Wirbelsturm »Gilbert« viele Menschen in den Tod riss. Seither haben die Behörden in Mexiko, in Kuba und in Belize Maßnahmen ergriffen, um das Leben mit den Tropenstürmen sicherer zu machen. In Belize, dem südlichen Nachbarn Mexikos an der Karibik, werden strandnahe Häuser nur noch auf vier bis fünf Meter hohen Betonpfeilern errichtet.
Das System in Kuba lautet: Dem Sturm ausweichen, ihm keinen Widerstand leisten. Deswegen wird auf der Karibikinsel stets der Strom abgeschaltet, wenn ein Hurrikan naht. Tausende Menschen werden in Sicherheit gebracht. Auch in Mexiko wird so verfahren, aber die Entscheidung über einer Flucht wurde bis bislang den Betroffenen überlassen. Präsident Vicente Fox sagte, noch unter dem Eindruck der Toten und katastrophalen Schäden durch die Regenmassen und Erdrutsche, die Tropensturm »Sam« erst Anfang Oktober im Süden seines Landes hinterlassen hatte, es gehe jetzt vor allem um die Rettung von Menschenleben.
Denn dieses Mal ist alles anders. Die Berichte der Meteorologen über »Wilma« wurden immer bedrohlicher. Der Hurrikan wurde zum stärksten Sturm im Atlantik aller Zeiten, zum Monsterhurrikan, der alles zerstören würde. Und die Medien ließen daraus eine Massenflucht entstehen, die die 600 000 Menschen in Cancun und in den anderen Orten Yukatans zusätzlich verunsicherte. »Wir wurden richtig eingekreist und hatten plötzlich den Eindruck, dass selbst die 1000 Jahre alten Pyramiden diesem Sturm nicht gewachsen sein würden«, sagte ein Bürger von Cancun.
Wie erwartet kam der Sturm mit seinen riesigen Ausmaßen und tobte sich an den Küsten aus. Die Strände, gegen die stundenlang riesige Wellen rollten, wurden schwer beschädigt, zum Teil weggespült. Und Hotels, deren Anlagen zu nah unten am Meer gebaut sind, wurden ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen. Einen Überblick über das von »Wilma« hinterlassene Chaos werden sich die Leute in Mexikos »Riviera« jedoch erst an diesem Wochenende verschaffen können.
Die Regierung des Bundeslandes Quintana Roo auf Yukatan hatte die Evakuierungen angeordnet und setzte sie auch durch. Die Angst vor den befürchteten katastrophalen Zerstörungen war größer als das Vertrauen in die menschliche Baukunst. Zum ersten Mal mussten auch die alteingesessenen Einwohner der Insel Isla Mujeres vor den Toren Cancuns ihre Kinder und Alten von der Armee aufs Festland bringen lassen.
Und die neuen Hotels mit ihrer kunstvollen und windschlüpfrigen Pyramidenarchitektur jenseits der großen Lagunen mussten alle Gäste ins Landesinnere bringen lassen. Den letzten Hurrikan der Stufe vier, »Emily«, hatten die Touriten im Juli noch in ihren Hotels abgewartet. Sie mussten nicht einmal auf Strom verzichten, weil die elektrischen Leitungen in der Hotelzone von Cancun unterirdisch verlegt sind. Am nächsten Tag schien die Sonne, und der Strandurlaub wurde fortgesetzt.
Auch das was dieses Mal anderes: An vielen Stellen war der Sand nicht mehr da. Und »Wilma« wütet weiter.

Artikel vom 22.10.2005