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Milliardenloch in der Staatskasse

Union und SPD sprechen von dramatischer Lage des Bundeshaushaltes

Berlin (Reuters). Eine Bundesregierung aus SPD und Union muss nach Auffassung der Finanzexperten beider Seiten Einsparungen in zweistelliger Milliardenhöhe vornehmen, um die dramatische Schieflage des Bundeshaushalts zu beheben.

»Es gibt keinen Zweifel, die Zahlen sind dramatisch«, sagte der Unionsverhandlungsführer in den Finanz-Koalitionsgesprächen, Hessens Regierungschef Roland Koch (SPD), nach einer dreistündigen Gesprächsrunde in Berlin. Das ergebe sich aus präzisen Zahlen, die das Finanzministerium auf den Tisch gelegt habe. »Es geht (beim Sparen) um sehr, sehr viele Milliarden Euro«, ergänzte Koch.
Der designierte Bundesfinanzminister Peer Steinbrück erklärte für die SPD-Seite, die Lage sei sehr ernst. Einig waren sich beide Seiten nach Angaben von Teilnehmern, dass die europäische Defizitgrenze von drei Prozent bis 2007 eingehalten und ein verfassungsmäßiger Bundeshaushalt vorgelegt werden müsse.
Baden-Württembergs Finanzminister Gerhard Stratthaus (CDU) sprach von einem Konsolidierungsbedarf beim Bund von 50 Milliarden Euro über vier Jahre, Sachsens Regierungschef Georg Milbradt (CDU) von mehr als 30 Milliarden Euro.
Auch in anderen Arbeitsgruppen liefen die Vorbereitungen für die Koalitionsverhandlungen an, die am Montagabend bei einem zweiten Treffen in großer Runde im Konrad-Adenauer-Haus der CDU fortgesetzt werden sollen. Die Arbeitsgruppe Arbeit und Soziale Sicherung unter Leitung des SPD-Vorsitzenden und künftigen Arbeitsministers Franz Müntefering tagte am Donnerstagabend. Teilnehmer berichteten, es seien Arbeitspapiere zu verschiedenen Themen in Auftrag gegeben worden. Begonnen werde voraussichtlich mit dem Thema Rente. Die am Freitag tagende Arbeitsgruppe für Gesundheit wollte sich zunächst Klarheit verschaffen über eine gemeinsame Datenbasis etwa zur Finanzlage der Krankenkassen.
Koch erklärte, die Finanzlage sei so dramatisch, dass er dies umgehend in die große Koalitionsrunde mit den Parteichefs am Montag einbringen wolle. Das sei geboten, weil eine »so große Prozentzahl« des Haushalts konsolidiert werden müsse. Er kündigte an, diese Notlage auch den Kollegen aus anderen Politikbereichen deutlich zu machen.
In der ersten Sitzung verständigte sich die Arbeitsgruppe der Finanzexperten von Union und SPD auf ein Arbeitsprogramm und sieben Untergruppen. Koch sprach von einem ersten wichtigen Schritt und erfolgreichen Bemühungen, eine gemeinsame Sprache zu finden. Nach wie vor scheint der Umfang des Sparbedarfs noch unklar, auch wenn Stratthaus davon sprach, der Zahl von 50 Milliarden Euro habe niemand widersprochen. SPD-Teilnehmer an der Sitzung lehnten es ab, Zahlen zu nennen.
In einem SPD-Expertenpapier war von einem Sparbedarf von 14,5 Milliarden Euro die Rede, falls man erst 2007 das europäische Defizitkriterium erreichen will. Auch die Steuerpolitik wurde Steinbrück zufolge diskutiert. Über Einzelmaßnahmen zur Haushaltssanierung erzielten die Gesprächspartner nach Angaben beider Seiten erwartungsgemäß noch keine Einigung.
Zur Eigenheimzulage, die die SPD streichen will, gab es nach Darstellung Milbradts ebenfalls keine Einigung.
Über die von der Union geforderte Mehrwertsteuererhöhung dürfte nachAngaben von Sitzungsteilnehmern erst ganz am Ende, vermutlich in einem Gespräch der Parteichefs entschieden werden.

Artikel vom 22.10.2005