24.10.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Koalitionsrunde zieht heute Zwischenbilanz

So oder so, 40 Milliarden Euro müssen »frei werden«

Berlin (dpa). Die Spitzen von Union und SPD wollen heute in einer neuen Runde der Koalitionsverhandlungen eine erste Zwischenbilanz ziehen.
Geprägt wird die zweite Gesprächsrunde nach Einschätzung von Teilnehmern von der dramatischen Finanzlage des Bundes, die zweistellige Milliardeneinsparungen notwendig macht. Sowohl die designierte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wie auch der SPD-Vorsitzende und künftige Arbeitsminister Franz Müntefering lobten das bisherige Gesprächsklima.
Finanzunterhändler Roland Koch sagte am Wochenende, er wolle Einsparungen in Höhe von 30 bis 40 Milliarden Euro. Nur so könnten die Vorgaben des europäischen Stabilitätspaktes bis zum Jahr 2007 wieder erreicht werden. Christian Wulff (CDU) sprach sich für eine Erhöhung der Mehrwertsteuer aus. »Ich halte es nach wie vor für sinnvoll, die Umsatzsteuer um zwei Prozentpunkte anzuheben, wenn die Lohnnebenkosten um zwei Prozent gesenkt werden«.
In den Koalitionsverhandlungen will die SPD der Union offenbar ein Sanierungsprogramm für die Finanzen von Bund, Ländern und Gemeinden vorschlagen. Der Staat sei »strukturell unterfinanziert«, heißt es in einem sechsseitigen Konzept der SPD mit dem Titel »Finanzpakt für Deutschland«. Deshalb gebe es bis auf weiteres »keine Spielräume für Nettosteuerentlastungen«. Stattdessen müsse die Steuerquote, also der Anteil der Steuern am Bruttoinlandsprodukt, um zwei Prozentpunkte steigen. Dies bedeutet Mehreinnahmen für den Staat von 40 Milliarden Euro.
»Koalitionsverhandlungen sind keine Formalien, das wird noch knallhart«, sagte Müntefering. Auch Merkel sieht die Verhandlungen noch lange nicht am Ziel. Bis jetzt gebe es noch kein einziges greifbares Ergebnis, sagte sie in Augsburg. Dennoch: »Ich will diese große Koalition, weil sie ein Auftrag des Wählers ist.«
»Wenn die großen Volksparteien in den Augen der Bürger dazu gemeinsam nicht in Lage sind, wird die Politikverdrossenheit zunehmen. Das können wir uns nicht leisten«, sagte Merkel. Jetzt müsse alle Kraft darauf verwendet werden, dass die Handschrift der Union sichtbar werde. Diesen Anspruch hat auch Müntefering für seine Partei. Er will mindestens zwei Drittel der SPD-Vorstellungen in den Koalitionsverhandlungen durchsetzen.
Die SPD werde sich vor allem für vier Punkte einsetzen: Die Erhöhung der Forschungs- und Bildungsausgaben auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts bis 2010, die Einführung eines Elterngelds, und den Erhalt von Tarifautonomie sowie Nacht- und Sonntagszuschlägen. Steuersenkungen seien angesichts leerer Kassen auf absehbare Zeit nicht möglich, sagte Müntefering.
NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers forderte Korrekturen an den Hartz-Reformen. »Auf Bundesebene ist ein schwarz-gelbes Bündnis nicht zu Stande gekommen, weil das, was wir als Reform-Mut angesehen haben, keine Mehrheit fand«, sagte er. Nun dürfe nicht alles der SPD überlassen werden, wofür die Union gestritten habe.
Bei der Ressortverteilung könne dieser Eindruck entstehen, da alle Zuständigkeiten für Sozialreformen bei der SPD lägen, kritisierte Rüttgers. Die CDU dürfe sich »nicht den sozialpolitischen Schneid abkaufen« lassen. »Einiges an politischen Reformzielen ist schon in den Sondierungsgesprächen klanglos geopfert worden, wofür die Union bereits mit ihrem schwachen Wahlergebnis bezahlt hatte«, sagte Rüttgers. Die CDU müsse als Partei der Sozialen Marktwirtschaft wahrgenommen werden. »Wir müssen deshalb Korrekturen an Hartz IV durchsetzen«, forderte der CDU-Politiker. Menschen dürften nicht unverschuldet in die Armut fallen.

Artikel vom 24.10.2005