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Friedrich Merz

»Wir hätten in diesem Wahlkampf Streit anfangen müssen, und zwar mit Rot-Grün.«

Leitartikel
Die Jungen machen Druck

Merkel hat verstanden - Stoiber auch


Von Reinhard Brockmann
»Wir sind ungefähr drei Wochen auseinander.« Die CDU-Vorsitzende hat den dringenden Wunsch des Parteinachwuchses, endlich mit der Analyse der Bundestagswahl zu beginnen, aufgenommen. Angela Merkel warnte gestern zwar noch vor »Schnellschüssen«, würgte aber die längst begonnene Fehlerdebatte auch nicht mehr ab. Ihr Signal beim Deutschlandtag der Jungen Union (JU): Ich habe verstanden.
Die Partei-Chefin war von den Jungspunden zum Jagen getragen worden. Auch wenn sie derzeit wahrlich andere Probleme hat, dürfte sie dafür demnächst noch dankbar sein. Dem Druck aus der JU ist zu verdanken, dass sich Merkel überhaupt festlegen ließ: Nach der Regierungsbildung »in drei Wochen«, auf jeden Fall noch in diesem Jahr und damit deutlich vor den drei Landtagswahlen im März soll die Union aus ihren falschen Entscheidungen für die Zukunft die richtigen Schlüsse ziehen.
Merkel hat in ihrer Rede erkennen lassen, dass sie keine Angst vor heißen Eisen hat. Das allenfalls mit »vier minus« - als zum Regieren gerade noch ausreichend - zu bezeichnende Wahlergebnis muss sich die Spitzenkandidatin zuallererst ganz persönlich vorhalten lassen. Sie allein hat den Einsatz des politischen Quereinsteigers Paul Kirchhof zu verantworten. Auch das scheinbar vom Reformmut verwässerte sozialpolitische Profil - so Jürgen Rüttgers - hat Merkel zu verantworten. Ihr Verweis auf nahezu gleiche absolute Stimmenzahlen für Schwarz-Gelb in NRW bei der Bundestags- wie bei der Landtagswahl ist wohl ein erster Rechtfertigungsversuch. Tatsächlich: SPD und Linkspartei konnten hierzulande mit der Angst vor den Neoliberalen stärker mobilisieren. Gleichzeitig schafften es die Bürgerlichen nicht, die politische Mitte einzunehmen.
Der gefeierte Auftritt von Friedrich Merz hatte am Samstag schon einiges klargestellt und die Parteijugend ihren Frust etwas ausleben lassen. Von grundsätzlichen strategischen Fehlern und Vorgaben für den kommenden Koalitionsvertrag war da die Rede. Das war Labsal für die Parteiseele.
»Wir hätten in diesem Wahlkampf Streit anfangen müssen, und zwar nicht untereinander, sondern mit der rot-grünen Regierung«, auch das war dem Nachwuchs aus der Seele gesprochen. Prompt kam die Forderung, Merz als Fraktionsvorsitzenden von der Hinterbank wieder ganz nach vorne ins Parlament zu ziehen. Ein Affront. Womit auch klar wäre, wem die Zukunft gehört, sollte das Wagnis große Koalition in einem großen Desaster enden.
Als Dank für ihre Diskussionsbereitschaft verschaffte die JU der Chefin gleich noch einen handzahmen Stoiber: »Ich bin bereit, unter der Richtlinienkompetenz von Frau Merkel einen Beitrag zu leisten«, sagte der und legte noch einen drauf: »Mehr Solidarität als in Deutschland und in einem Kabinett von Frau Merkel mitzuarbeiten, kann ich nicht erbringen.« Die Worte hören wir wohl...

Artikel vom 24.10.2005