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Erdbebenopfer hoffen
verzweifelt auf Hilfe

Gelder der Weltgemeinschaft fließen nur spärlich

Islamabad (WB/dpa/Reuters). Helfer und Überlebende des verheerenden Erdbebens vor allem im pakistanischen Teil Kaschmirs überkommt immer mehr die Verzweiflung. Erst ein Bruchteil dessen, was an internationaler Hilfe erbeten war, ist bislang bei den Obdachlosen und Verletzten angekommen.

Während nach der Tsunami-Katastrophe vom 26. Dezember binnen zwei Wochen 80 Prozent der von den Vereinten Nationen erbetenen Gelder von der internationalen Gemeinschaft zugesagt worden waren, sind es im kaschmirischen Katastrophengebiet, ebenfalls zwei Wochen nach dem Beben vom 8. Oktober, erst gut zehn Prozent.
Damals, in der Weihnachtszeit, entfesselten die Fernsehbilder von den zerstörten Stränden Indonesiens und Thailands eine gigantische Spendenwelle. Ein Dreivierteljahr später scheint das Leid in Kaschmir die Welt kalt zu lassen. Mehr als 50 000 Tote sind in Kaschmir offiziell bestätigt, doch zehntausende weitere Verletzte sind durch fehlende Versorgung und Kälte bedroht. Mit dem, was sie am Leibe tragen, sind sie Regen, Schnee, Hagel und Temperaturen am Gefrierpunkt ausgesetzt.
UN-Generalsekretär Kofi Annan erbat einen »sofortigen und außergewöhnlichen Anstieg der weltweiten Hilfeanstrengungen«. Pakistans Präsident Pervez Musharraf bezeichnete die internationale Hilfe am Freitag als »völlig unzureichend«. Fünf Milliarden Dollar seien für den Wiederaufbau nötig, sagt er, lediglich 620 Millionen bisher zugesagt.
Auch das UN-Welternährungsprogramm (WFP) schlägt Alarm. Von erbetenen 56 Millionen Dollar Soforthilfe sei nur ein Bruchteil eingegangen - Geld, das für die Lebensmittelversorgung von fast einer Million Überlebenden gebraucht wird. Die UN haben um 312 Millionen Dollar gebeten. Bislang gab es Zusagen über 37 Millionen. 500 000 Zelte fehlen.
Nach der Tsunami-Flut, die 220 000 Menschen das Leben kostete, waren schnell Milliardenbeträge zusammengekommen. Geschockte Urlauber ließen Daheimgebliebene hautnah am Unfassbaren teilhaben. Doch Pakistan ist kein Urlaubsgebiet - im Westen wird das Land stattdessen mit Kaschmir-Konflikt und Anti-Terror-Kampf verbunden.
Dabei stehen die Helfer im neuen Katastrophengebiet vor weitaus größeren logistischen Problemen: In der Tsunami-Region wurde der Küstenstreifen verwüstet, das Hinterland mit seinen Krankenhäusern, Schulen und Straßen aber funktionierte weiter. Im pakistanischen Katastrophengebiet ist fast die gesamte Infrastruktur zerstört. Immer noch sind Überlebende von Hilfe abgeschnitten. Straßen, Krankenhäuser, Schulen - alles ist weg.
Problematisch ist neben der Versorgung der Überlebenden das Wetter. Menschen, die das Beben überlebten, sterben nun an Kälte. Auch in den Tsunami-Gebieten waren Millionen Menschen obdachlos - in den Tropen war das allerdings nicht ihr Todesurteil. »In Sri Lanka hängen Kokosnüsse am Baum, niemand muss verhungern oder erfrieren«, sagt Christoph Ernesti von der Aktion Deutschland Hilft (ADH). Ernesti war nach dem Tsunami auf der Tropeninsel, nun ist er in Pakistan. »Hier ist die Katastrophe keineswegs geringer«, sagt er. Und er befürchtet: »Die Probleme werden noch drastisch zunehmen.«

Artikel vom 22.10.2005