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Einfach eine Oma leihen
Kinder halten jung, findet die 64-jährige Rentnerin Elke Ballhausen
Kinder haben nun mal Eltern, und die haben, auch klar, ebenso Eltern. Und das sind dann eben die Großeltern. Aber nicht alle Kinder haben Omas und Opas. Und da ist es ganz schön, wenn man eine Leih-Oma hat. Elke Ballhausen zum Beispiel ist eine. Das macht Spaß!
In den Knien knackt es leise, als sich Elke Ballhausen auf den Boden setzt. Mit einer Hand schafft sie sich Raum zwischen Spielzeugburgen, Heerscharen von Plastik-Rittern und elektrischen Autorennbahnen. Peter hüpft um sie herum, spielt auf einer Luftgitarre. Aus dem Kassettenrekorder dröhnt Rockmusik, Peter trötet dazu auf einem Strohhalm, der in seinem Mundwinkel steckt. »Kinder sind meine Verjüngungskur«, sagt die 64-Jährige. Auch wenn es nicht die eigenen Kinder und Enkel sind. Denn Elke Ballhausen ist eine gemietete Oma. In und um Hamburg betreut sie Kinder in Familien, in denen Großeltern fehlen.
Wie vielen älteren Menschen in Deutschland fehlen Elke Ballhausen die eigenen Enkel. Zwar hat eine ihrer zwei Töchter drei Kinder. Doch die sind schon zu alt zum Aufpassen und wohnen außerdem in Süddeutschland. Deshalb hat sie sich nach ihrer Pensionierung als Verwaltungsangestellte beim Hamburger Verein »Jung und Alt in Zuwendung e. V.« registrieren lassen, einem Oma-Leihservice.
Dort sind mittlerweile mehr als 180 Omas - und auch einige Opas - in der Kartei. Beate Schmidt hat bereits Ende der 70er Jahre die Lücke erkannt, die eine mobile und globale Welt reißen würde, und den Oma-Hilfsdienst gegründet. »Das Leben in der Großfamilie ist heute ganz und gar nicht mehr normal. Viele haben keine Enkel oder keine Großeltern mehr in der Nähe.« Die Leih-Omas springen ein, wenn der Babysitter nicht kann, die Mutter krank wird oder die Eltern mal übers Wochenende verreisen wollen.
23 Euro zahlen die Familien für zwei Mal acht Stunden Aufpassen im Monat an den Verein. Die Hilfs-Großeltern arbeiten ehrenamtlich, bekommen nur das Fahrtgeld erstattet. Manchmal gibt es einen Blumenstrauß oder ein bisschen Geld als Dankeschön. Wichtiger als Geld ist aber das Gefühl, nach der Pensionierung nicht nutzlos zu werden. »Ich will noch gebraucht werden. Kinder geben einem so viel zurück«, sagt Elke Ballhausen ganz bescheiden.
Das Konzept hat deutschlandweit Erfolg: Von München über Karlsruhe, Halle und Osnabrück bis nach Bremen und Berlin organisieren mittlerweile ähnliche Vereine das Leben im Rentenalter. Omas und Opas lesen in Kindergärten vor, bieten Treffs an, zu denen gestresste Eltern ihre Kinder bringen können. Im Gegenzug helfen in vielen Vereinen auch junge Leute älteren Menschen. »Jung und Alt können viel voneinander lernen«, findet Elke Ballhausen. Im vergangenen Jahr hatte sie 106 Einsätze. Elf Leih-Enkel bei acht Leih-Familien betreut sie. Ist schon manchmal Stress. Doch Stress ist besser als Einsamkeit zu Hause in Hamburg.
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Artikel vom 29.10.2005