22.10.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Letzte Ruhe im Import-Sarg

Deutsche Hersteller verlieren Marktanteile -ÊTrend zu hellen Holztönen

Von Bernhard Hertlein
Kappel-Grafenhausen (WB). Die letzte Behausung stammt immer seltener aus deutscher Produktion. Waren Anfang der neunziger Jahre noch mehr als 90 Prozent aller Särge im Inland gefertigt, so liegt der Anteil heute deutlich unter der 50-Prozent-Marke. Die meisten Importe stammen aus osteuropäischen Ländern wie Polen, Tschechien sowie neuerdings Ukraïne und Litauen.
Eichenlaub als Sargschmuck wird zunehmend seltener.

Der Verband der deutschen Zuliefererindustrie für das Bestattungsgbewerbe (VDZB) spricht von einem »tendenziellen Verfall der Bestattungskultur«, beklagt »eine gewisse Entsorgungsmentalität«. Mehr denn je achteten die Hinterbliebenen auf die Kosten der Beerdigung. Ein Grund ist nach Angaben von VDZB-Geschäftsführer Siegfried von Lauvenberg der seit Anfang 2004 endgültig wirksame Wegfall des früher von den Krankenkassen gezahlten Sterbegeldes von bis zu 2100 Euro.
Während Ausgaben wie die kommunalen Friedhofsgebühren nicht verhandelbar sind, bietet der Sarg durchaus Einsparpotenzial. Die Preise reichen von 400 bis 6000 und im Falle eines Colani-Modells sogar bis 12 000 Euro. Bei zwei von fünf Beerdigungen handelt es sich heute um Feuerbestattungen. In den neuen Bundesländern ist der Anteil noch höher. Da der Sarg im Krematorium mitverbrannt wird, ist die Neigung, zu sparen, hier besonders groß.
Auch bei Särgen ändern sich von Zeit zu Zeit Vorlieben und Moden. »Meist folgt unser Trend mit zeitlicher Verzögerung der Möbelindustrie«, sagt Bernhard Wurth, Chef eines für die Sargindustrie typischen mittelständischen Betriebs im badischen Kappel-Grafenhausen. So seien seit einigen Jahren vor allem helle Holztöne (Buche, Birne) gefragt. Eingesetzt werden neben der traditionellen, aber rückläufigen Eiche insbesondere Kiefer und Pappel. Wurth nutzt dabei als einziger deutscher Sarghersteller eine in der Möbelindustrie bekannte Technologie, bei der ein Holz-Dekor aus Papier auf die Sargteile aufgebracht wird. Ornamente oder anderes Beiwerk wie etwa Eichenlaub verlieren an Bedeutung. Wurth: »Der schnörkellose Sarg ist auf dem Vormarsch.«
Elegant, schlicht, obenauf ein flaches Brett: So sah der »Papstsarg« von Johannes Paul II. aus. Auf Kundenwunsch wird er nun häufiger nachgefragt. In Deutschland haben die meisten Särge nach wie vor die Form einer hohen Truhe. In südlichen Ländern sind sie flacher; dafür sind sie besonders im Schulterbereich der Körperform angepasst. Aus Italien stammen exklusive Särge, die sich etwa durch Intarsien oder edlen, hochglänzenden Schwarzlack von der Breite des sonstigen Angebots abheben. Diese Importe haben einen Anteil von etwa fünf Prozent am Gesamtumsatz.
Ein Versuch mit Formholz, das den Spanplatten ähnelt, hat sich für Wurth in den siebziger Jahren nicht ausgezahlt. Mit Aufkommen der Formaldehyd-Diskussion fürchteten Friedhöfe um Schaden für den Borden. Das Programm wurde eingestellt.
In dem Unternehmen, 1957 gegründet, arbeitet inzwischen die dritte Generation mit. Die Mitarbeiterzahl ging zurück, als Wurth erste kleinere Rationalisierungsmaßnahmen ergriff und außerdem Särge von inländischen Kollegen als Handelsware ins Programm aufnahm. Heute produzieren die 28 Beschäfigten jährlich mehr als 10 000 der insgesamt knapp 15 000 ausgelieferten Särge. Der Großteil ist nach wie vor Handarbeit. Ein Sarg wird aus mindestens 56 Holzteilen zusammengebaut.
Was für Gefühle hat man, wenn man täglich von Särgen umgeben ist? Wurth: »Man gewöhnt sich daran. Nur bei besonderen Toten, etwa wenn wieder einmal ein Kindersarg bestellt wird, ist die Beklommenheit wieder da.«
Im vergangenen Jahr verzeichnete die gesamte deutsche Sargindustrie einen Umsatzrückgang von 11,9 Prozent auf 56 Millionen Euro. Die Stückzahl der in Deutschland produzierten Särge ging um 8,7 Prozent auf 273 000 zurück. Neben dem Importdruck müssen die Hersteller auch mit der rückläufigen Zahl von Todesfällen zurecht kommen. Im vergangenen Jahr starben 821 000 Menschen in Deutschland -Êelf Prozent weniger als 1990. Eine Zunahme der Sterbefälle ist erst wieder von 2010 an zu erwarten.
Bisher verzichteten die Sarghersteller auf Werbung bei Endkunden. Wurth geht einen neuen Weg. Ein kleiner Aufsteller soll in den Ausstellungsräumen von Bestattungsunternehmen auf »Särge made in Germany«Êhinweisen - und darauf, dass mit der Kaufentscheidung Arbeitsplätze in Deutschland erhalten werden können.

Artikel vom 22.10.2005