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Todkranken Menschen helfen

Ulla Schmidt will Palliativ-Medizin mit 250 Millionen Euro ausbauen

Berlin (dpa). Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) will die Palliativmedizin für unheilbar Kranke mit einem 250-Millionen-Programm deutlich verbessern und flächendeckend ausbauen. Dies sei auch die richtige Antwort auf die Forderung nach aktiver Sterbehilfe, die sie strikt ablehne, sagte die SPD-Politikerin.

Das Wort »palliativ« leitet sich ab vom lateinischen »pallium« (der Mantel) und bedeutet »lindernd«. Diese Art der Pflege ist nicht primär auf Heilung der Krankheit ausgerichtet, sondern soll Symptome wie Schmerzen, Depressionen, Luftnot, Übelkeit oder Verwirrtheit erträglicher machen.
Ungeachtet breiter Ablehnung aus den eigenen Reihen hatte sich Hamburgs Justizsenator Roger Kusch (CDU) für eine aktive Sterbehilfe eingesetzt. Bestätigt sieht er sich durch eine »Stern«-Umfrage, wonach 74 Prozent der Deutschen eine aktive Sterbehilfe für Todkranke auf deren ausdrücklichen Wunsch hin befürworteten.
Die Gesundheitsministerin, die ihr Amt auch in einer großen Koalition behalten soll, will es dagegen allen Schwerstkranken ermöglichen, »ohne unnötige Leiden in Würde - und wo immer möglich und gewünscht - zu Hause bis zum Tod betreut zu werden«. Dafür will Schmidt einen eigenständigen Leistungsanspruch auf eine »spezialisierte ambulante Palliativversorgung« schaffen.
Flächendeckend sollen 330 speziell ausgebildete Teams aus Ärzten und Pflegekräften Palliativpatienten mit erhöhtem Versorgungsbedarf zu Hause, aber auch in Kliniken, Pflegeheimen und Hospizen betreuen. Allein die Palliativ-Teams kosten 100 Millionen Euro pro Jahr, rechnete die Ministerin vor. Weitere 110 Millionen würden durch eine bessere Versorgung der Schwerstkranken mit Medikamenten, Heil- und Hilfsmitteln erwartet. 26 Millionen dürfte die Optimierung der hausärztlichen Versorgung für Palliativpatienten ausmachen. Die benötigten Gelder könnten zum Beispiel durch wirtschaftlicheres Verordnen von Medikamenten an anderer Stelle aufgebracht werden, sagte Schmidt.
Auch Politiker von Union und FDP wollen das Verbot aktiver Sterbehilfe aufrechterhalten, aber die Sterbebegleitung fördern. Der rheinland-pfälzische Justizminister Mertin (FDP) argumentierte: »Wenn wir den Menschen die größten Sorgen nehmen können - nämlich qualvoll und einsam zu sterben -, dann gibt es kein Bedürfnis nach aktiver Sterbehilfe.«
Die nordrhein-westfälische Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) will an der bisherigen Gesetzeslage und Praxis festhalten. Es dürfe aber »auf keinen Fall dazu kommen, dass Menschen, die in der letzten Lebensphase keine Hilfe erhalten, nur noch die Selbsttötung als Ausweg sehen.«
Die Deutsche Hospizstiftung, die sich als Sprecherin der Schwerstkranken versteht, präsentierte gestern in Berlin eine Langzeitstudie des Bielefelder Meinungsforschungsinstituts Emnid. Ergebnis: Wer mehr über Alternativen zur aktiven Sterbehilfe weiß, spricht sich eher gegen Tötung auf Verlangen aus. Bei der Erhebung wurde vor dem Abfragen der Haltung zur Sterbehilfe erklärt, was Sterbebegleitung in Einrichtungen wie Hospizen oder ärztliche Linderung des Leids bedeutet. Ergebnis: Nur 35 Prozent sprachen sich danach für aktive Sterbehilfe aus, 56 für Alternativen. Aktive Sterbehilfe ist in Deutschland gesetzlich verboten.
»Wenn ich den Wissensstand der Bevölkerung hätte, wäre ich auch für aktive Sterbehilfe«, sagte Stiftungs-Vorstand Eugen Brysch. Drei Viertel der über 60-Jährigen fürchteten sich am meisten vor Pflege, bei den 30-Jährigen sei es bereits jeder Zweite. Andererseits wüssten nur 20 Prozent der Deutschen, was ein Hospiz ist, also eine Pflegeeinrichtung für Todkranke.

Artikel vom 21.10.2005