20.10.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

170 000 Arbeitslose nicht zu erreichen

Diskussion um Missbrauch neu entfacht - Fehler auch bei den Behörden

Bielefeld/Berlin (WB/kol). Das Ergebnis einer Telefonumfrage unter Empfängern des neuen Arbeitslosengeldes II hat die Debatte über den Missbrauch dieser Gelder angeheizt. 390 000 ALG-II-Empfänger sollten befragt werden - doch 170 000 waren auch nach zehn Anrufversuchen für die Arbeitsämter nicht zu erreichen.

Der stellvertretende Verwaltungsratsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit (BA), Peter Clever, zieht daraus den Schluss, dass in mindestens jedem zehnten Fall von ALG-II-Bezug Missbrauch getrieben werde. Das Erwerbslosen Forum Deutschland warf Clever daraufhin eine Diskriminierung von Hartz-IV-Empfängern vor.
Eine Sprecherin der Bundesagentur bestätigte gestern, dass bei der Umfrage im Juli vor allem jene ALG-II-Bezieher erreicht werden sollten, zu denen es seit mehr als zwei Monaten keinen Kontakt mehr gegeben hatte. Es habe sich um eine einmalige Aktion gehandelt, eine Wiederholung sei nicht geplant. Bundesweit gibt es derzeit knapp 4,9 Millionen ALG-II-Bezieher.
Clever berichtete, 43 000 der telefonisch erreichten ALG-II-Empfänger hätten Antworten verweigert. Bei sieben Prozent derjenigen, die erreicht wurden und Antworten gaben, habe sich herausgestellt, dass sie gar nicht arbeitslos gewesen seien. Einige seien »in betrügerischer Absicht« gemeldet gewesen, andere hätten vergessen, eine Änderung - wie etwa den Erhalt einer Lehrstelle - zu melden. Bei etwa 32 000 befragten ALG-II-Beziehern sei der Status unklar. Hier müsse noch weiter geforscht werden - »erst recht bei den 170 000, die gar nicht erreicht wurden«, forderte Clever.
Die Arbeitsgemeinschaften zur Betreuung der ALG-II-Empfänger in Bielefeld und Gütersloh wiesen gestern Clevers Schätzung zurück. Zugleich räumte Fred Kupcyk, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Gütersloh (19 000 Geldempfänger) ein, dass bei der ALG-II-Berechnung Fehler passiert seien, die auch zu überhöhten Zahlungen geführt haben könnten. Solche Fehler seien in erster Linie auf Arbeitsüberlastung und Kenntnislücken beim Personal während der Umstellungsphase zurückzuführen. Betrügerischer Missbrauch falle nur selten auf.
Kupcyk verwies auf frühere Untersuchungen zur Sozialhilfe. Dort habe die Missbrauchs-Quote bei etwa drei Prozent gelegen.
Überhöhte Zahlungen durch Berechnungs-Fehler fallen Kupcyk zufolge bei regelmäßigen Überprüfungen im Abstand von drei bis fünf Monaten auf. Beleg dafür seien die leicht rückläufigen Auszahlungsbeträge: Der Durchschnitts-Empfänger von ALG II erhielt in Gütersloh im September 838 Euro - im Juli waren es noch 844 Euro.

Artikel vom 20.10.2005