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Selbst Helfer
verzweifeln

Erdbeben: 250 000 Kinder ohne Beistand

Islamabad/Neu Delhi (dpa). Gut eineinhalb Wochen nach dem schweren Erdbeben in Südasien leiden die Überlebenden im Katastrophengebiet weiter unter Kälte und mangelnder Versorgung.

Das UN-Koordinationsbüro für humanitäre Angelegenheiten (Ocha) sprach gestern in Genf von einer »schrecklichen Lage für Millionen Menschen in Pakistan«. Noch immer könne Zehntausenden nicht geholfen werden. Das Kinderhilfswerk UNICEF warnte, in den kommenden Wochen könnten mehr als 10 000 Kinder an den Folgen ihrer Verletzungen, an Unterkühlung und an Krankheiten sterben. Nachbeben sorgten für Panik in Indien und Pakistan.
Die bestätigte Opferzahl stieg auf fast 50 000 an. Die Schätzungen der pakistanischen Regionalregierungen sind allerdings wesentlich höher. Diesen Angaben zufolge wurden im pakistanischen Teil Kaschmirs mindestens 53 000 und in der Nordwest-Grenzprovinz mindestens 35 000 Menschen getötet. Im indischen Teil Kaschmirs starben in Folge des Erdbebens vom 8. Oktober mindestens 1600 Menschen.
Das UN-Koordinationsbüro für humanitäre Angelegenheiten teilte mit, die »logistischen Herausforderungen« seien bei noch keiner Aktion dieser Art so groß gewesen. Da der Winter die Region erreicht habe, lebten die Menschen bei Temperaturen unter Null Grad im Freien. Zehntausende könnten nicht erreicht werden, da die Straßen unpassierbar seien und Hubschrauber wegen der Wetterverhältnisse nicht landen könnten. Unter den Helfern mache sich angesichts dieser Lage Verzweiflung breit. Die Zahl der Obdachlosen wird laut Ocha auf bis zu 3,2 Millionen geschätzt.
UNICEF geht davon aus, dass allein 32 000 Kinder tot, 42 000 verletzt und bis zu 250 000 ohne jeden Beistand sind. 120 000 Kinder in entlegenen Dörfern seien immer noch ohne Hilfe. Auf einer Fläche von 28 000 Quadratkilometern - das entspricht fast der Fläche Brandenburgs - sei die Infrastruktur mit Gesundheitszentren, Regierungsgebäuden oder Schulen zerstört.
Die NATO begann mit dem Einsatz der neu geschaffenen schnellen Eingreiftruppe NRF (NATO Response Force) zur Erdbebenhilfe in Pakistan. Die Soldaten sollen 860 Tonnen Zelte, Decken und Heizöfen im Auftrag der UN-Flüchtlingsbehörde UNHCR nach Pakistan schaffen. Tausende Menschen in den Katastrophengebieten Pakistans und Indiens flohen gestern bei Nachbeben aus ihren Häusern. Ob es neue Opfer gab, war unbekannt.
Die indische Regierung begrüßte unterdessen das Angebot des pakistanischen Präsidenten Pervez Musharraf, die Waffenstillstandslinie in Kaschmir zu öffnen. Musharraf hatte gesagt, Pakistan sei bereit, die de-facto-Grenze in der geteilten Region für Kaschmirer zu öffnen, die im Katastrophengebiet helfen oder Angehörige suchen wollten.

Artikel vom 20.10.2005