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Die Mischung kommt an

Indische Film- und DVD-Produktionen in Deutschland

Von Christina Horsten
München (dpa). Die Haare der jungen Frau wehen im Wind. Langsam nähert sich ihr der Held. »Ich bin immer für dich da«, säuselt er ihr ins Ohr, fast berühren sich ihre Lippen - und dann küssen sie sich nicht. Denn das hier ist nicht Hollywood, sondern »Bollywood«.
Ein »Bollywood«-Plakat in Indiens Hauptstadt Neu Delhi.Foto: dpa

Die Filme kommen aus Indien, vornehmlich aus Bombay, und das dortige Publikum findet es nicht schicklich, wenn sich Unverheiratete auf der Leinwand küssen.
Trotzdem schmilzt Sabine Jonsdotter bei diesen Szenen dahin. Insbesondere wenn der Held des Films vom indischen Superstar Shah Rukh Khan verkörpert wird. »Er ist einfach so niedlich«, sagt die 45-jährige Bürokauffrau aus Stuttgart. Mit ihrer Fanliebe steht Sabine Jonsdotter nicht alleine da. Etwa 50 Briefe an den 40-jährigen Schauspieler aus Neu Delhi kommen jede Woche bei dem auf Bollywood-Filme spezialisierten Kölner DVD-Label Rapid Eye Movies an. »Zum Teil sind das einfach nur Autogrammwünsche«, sagt Nina Lobinger von Rapid Eye Movies, »aber auch Liebesbriefe mit gebastelten Geschenken.«
Bollywood ist in Deutschland angekommen. Seit 2003 mit »Kabhi Kushi Kabhi Gam« (In guten wie in schweren Tagen) der erste indische Film in den deutschen Kinos lief, hat ein regelrechter Boom eingesetzt. Alle sechs Titel, die Rapid Eye Movies seitdem auf DVD herausgebracht hat, schafften es in die deutschen DVD-Charts. Ende September stieg »Kuch Kuch Hota Hai« (Und ganz plötzlich ist es Liebe) von null auf Platz eins und lag damit vor vielen Hollywood-Produktionen.
Matthias Uhl ist darüber nicht überrascht. Er ist Wissenschaftler an der Universität Siegen und beschäftigt sich schon seit Jahren mit dem indischen Film. »Nur in Westeuropa sind wir so von amerikanischen Filmen aus Hollywood geprägt. Fast im ganzen Rest der Welt ist Bollywood der Standard.« Die indische Filmindustrie ist die größte der Welt, etwa 800 Filme werden jedes Jahr produziert. Sie flimmern nicht nur in Indien, sondern auch in ganz Asien, Afrika und Südamerika über die Leinwände. »Es war also nur eine Frage der Zeit, bis Bollywood auch nach Deutschland kommt.«
Dass es gerade jetzt passiert, wundert Uhl auch nicht. »In den letzten fünfzehn Jahren hat sich die Qualität der Filme auf westlichen Standard hochbewegt. Auch an westliche Schönheitsvorstellungen hat man sich angepasst, so sind die Akteure schlanker geworden.« Davon abgesehen unterscheiden sich die Filme allerdings deutlich. Sie dauern bis zu vier Stunden und enthalten zahlreiche Musik- und Tanzeinlagen. Oft erinnern sie an ein Musical, die Schauspieler singen und alles ist voller bunter Kostüme, Pathos und Herzschmerz. Den Inhalt beschreiben die Inder gerne mit dem Wort »Masala«. »Das ist eigentlich eine indische Gewürzmischung«, sagt Uhl, »aber das Wort steht auch für all die verschiedenen Zutaten in einem Bollywood-Film: Liebe, Drama, Komik, Action und mehr.«

Artikel vom 20.10.2005