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»Pferde bleiben - Automobile nicht«

Jahnplatz zwischen den Weltkriegen - Teil 2

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). »Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist nur eine vorübergehende Erscheinung.« Kaiser Wilhelm II. irrte auch diesmal - und am Jahnplatz bekamen motorisierte Zeitgenossen Vorfahrt.

Zwar betraten immer mehr Fußgänger den Jahnplatz, als sich das Gebiet um die Bahnhofstraße nach dem Ersten Weltkrieg vom Industrieviertel zum Areal der Dienstleister entwickelte, doch auch der Autoverkehr rollte stärker. Aus Bielefelds Amtsstuben schallten 1928 harsche Töne: »Es ist in diesen Straßen nicht nur der Fahrdamm gründlich vom Fußgängerverkehr zu reinigen.« Nein, sogar auf den Bürgersteigen wollte man rigoros durchgreifen und grüppchenweises Schreiten verbieten, weil dies unweigerlich einzelne Passanten auf die Straße dränge.
Mobile Barrieren sollten den Bürger disziplinieren. Hochmut und Sündenfall der Verkehrsplaner sind gewiss acht Jahrzehnte alt und wiederholen sich seither. Bis auf den heutigen Tag . . .
Doch richten wir unser Augenmerk auf die Einmündungen von Niederwall und Niedernstraße. Bereits 1905 war im ehemaligen »Central-Hotel« das Kaufhaus Hettlage eingezogen, viel später als »Madame-Haus« bekannt - heute befinden sich hier das »Dolce Vita« und Gerland Hörgeräte. Gegenüber, wo jetzt »Pizza Hut« entfernt an altes Architekturdesign erinnert, errichte man das Kaufhaus Alsberg, und an der Stelle des heutigen Bertelsmann-Clubs stand noch im letzten Krieg das Kaufhaus Mertens.
Eine merkantile, von Unternehmergeist geprägte Ecke also, aber das NS-Regime fuhr auch hier dazwischen: 1938 wurde Alsberg »arisiert«, sein jüdischer Besitzer Benno Katz musste aufgeben - die Anfänge von Opitz.
Ganz allgemein wird man sagen dürfen, dass der Jahnplatz zwischen den Kriegen seinen idyllischen Charakter verlor. Trupps rückten aus, die Bäume zu fällen, und schon 1927 musste der zentrale Halteplatz für Fuhrwerke der aus der Wilhelmstraße einbiegenden Straßenbahnlinie 3 weichen. Der Jahnplatz, einst ein organisches Gelenk auf dem Weg vom Alten Markt zum Bahnhof, wurde zur Drehscheibe für den Transitverkehr herabgewürdigt.
Übrigens mit dem Segen der Architekten- und Designer-Elite: Bereits in den 20ern schwebte Le Corbusier die »autogerechte Stadt« vor. Der Moloch auf vier Rädern, größter kommunaler Geldverschlinger, zertrat das verkümmernde Pflänzchen Stadtgestaltung.
Im dritten Teil lesen Sie: Die »Spinne« - Jahnplatztunnel und die Folgen.

Artikel vom 20.10.2005