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Amt entzieht Vater das Kind zu Unrecht

Justin lebt seit drei Jahren bei Pflegeeltern - Oberlandesgericht kritisiert Behördenvorgehen

Von Christian Althoff
Versmold (WB). Das Jugendamt des Kreises Gütersloh hat einem Vater drei Jahre lang seinen kleinen Sohn ohne gesetzliche Grundlage vorenthalten. Das hat das Oberlandesgericht Hamm festgestellt. Das heute vier Jahre alte Kind, das seit 2002 bei Pflegeeltern lebt, soll nun durch Besuchskontakte die Möglichkeit bekommen, langsam eine Beziehung zu seinem Vater aufzubauen.
Justin und sein Vater, zu dem der Junge Michael sagt, bei einem Treffen auf einem Spielplatz.

Es waren nicht die besten Voraussetzungen, unter denen Justin im Juli 2001 zur Welt gekommen war: Seine Mutter war erst 16 Jahre und ging noch zur Schule, und zwischen ihr und dem damals 21 Jahre alten Kindesvater Michael M. aus Versmold kam es immer wieder zum Streit, bis die Teenager-Liebe schließlich zerbrach.
Das Jugendamt fand zunächst eine Lösung: Justin und seine Mutter zogen in eine Einrichtung für betreutes Wohnen, wo der 16-Jährigen zeitweise eine Tagesmutter zur Seite stand. Michael M. (25): »Das Problem war allerdings, dass meine Freundin nahezu täglich ihre Mutter und deren Freund einlud, die dann Trinkgelage veranstalten und rauchten, obwohl Justin im Zimmer war.«
In Sorge um seinen Sohn hatte Michael M. deshalb mehrfach die Polizei angerufen. Weil Justins Mutter ihr Verhalten aber nicht änderte, nahm das Jugendamt am 13. November 2002 den damals 16 Monate alten Jungen in Obhut. Die Mutter übertrug das Sorgerecht an Michael M., doch das Jugendamt übergab das Kind Pflegeeltern in Halle. Eine Jugendamtsmitarbeiterin gab später zu Protokoll: »Die Herausnahme war kein Problem. Das Kind hat im Auto nur stumm geweint und nicht laut protestiert, was wir sonst erleben.«
»Seit damals kämpfe ich darum, meinen Sohn zu mir nehmen zu dürfen«, sagt Michael M., der gerade eine Ausbildung zum Veranstaltungskaufmann macht. Er hat eine eigene Wohnung im Haus seiner Eltern, die schon vor drei Jahren angeboten hatten, sich gemeinsam mit ihrem Sohn um Justin zu kümmern - vergeblich. Auf Antrag des Jugendamtes entzog das Familiengericht Halle Michael M. und seiner Ex-Freundin das Sorgerecht. Das Gericht stützte sich auf eine Sachverständige, die Justins Vater »wenig Verantwortungsbewusstsein« vorwarf und bemängelte, dass er »Entwicklungsrückstände bei Justin nicht wahrgenommen« habe. Seine »Erziehungsunfähigkeit« komme auch dadurch zum Ausdruck, dass er nicht akzeptiere, dass sein Sohn in der Pflegefamilie gut aufgehoben sei, sondern dessen Rückführung anstrebe, heißt es in dem erstinstanzlichen Beschluss.
Das Oberlandesgericht Hamm bestätigte das Urteil, soweit es den Sorgerechtsentzug für die Mutter betraf. Dem Vater sei das Recht allerdings ohne jede Grundlage entzogen worden, stellte der 1. Senat für Familiensachen fest. In der Verhandlung hatte die Sachverständige zugeben müssen, dass Justin zum Zeitpunkt der Kindeswegnahme gar keine Entwicklungsrückstände gehabt habe. Die seien lediglich »zu erwarten gewesen«, sagte die Frau.
Die Richter waren zudem der Meinung, dass Michael M. kein mangelndes Verantwortungsbewusstsein vorzuwerfen sei - im Gegenteil: Er habe sich anlässlich der Trinkgelage um das Wohl seines Kindes gesorgt, und auch sein jahrelanges Bestreben, Justin zu sich nehmen, spreche für ihn. Es sei zwar denkbar, dass Justin bei seinen Pflegeeltern bessere Entwicklungschancen habe, schrieben die Richter, aber es gehöre nicht zu den Aufgaben eines Jugendamtes, für die bestmögliche Förderung eines Kindes zu sorgen: »Eltern und deren sozioökonomischen Verhältnisse gehören zum Lebensrisiko eines jeden Kindes.«
Die Richter warfen dem Jugendamt vor, es habe Michael M. nie die Chance gegeben, sich in der Vaterrolle zu beweisen.
Das soll sich jetzt ändern. »Wir werden den Gerichtsbeschluss umsetzen«, erklärte gestern Kreisdirektor Christian Jung. Bisher durfte Michael M. seinen Sohn nur einmal im Monat für eine Stunde auf einem Spielplatz treffen, künftig sind mehr Kontakte geplant: »Justin soll sich ganz langsam an mich gewöhnen. Ich will ihn nicht von heute auf morgen aus seiner vertrauten Pflegefamilie reißen.«

Artikel vom 19.10.2005