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Kreuze, so weit das Auge reicht

Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge trägt Versöhnungsidee weiter

Von Hartmut Horstmann
Bielefeld (WB). Das Grab eines Soldaten, vor dem Kreuz zwei kleine Fahnen, eine niederländische und eine deutsche: In diesem Bild drücken sich Vergangenheit und Zukunft aus. Symbolisch bringt es die Ziele des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge auf den Punkt - Versöhnung über Gräbern und Friedenserziehung.
Der britische Friedhof Tyne-Cot in Flandern erinnert an die Gefallenen des Ersten Weltkrieges. Seit vielen Jahren widmen sich Hannelore Brand und Klaus Schröder aus Bünde der Friedensarbeit. Fotos: Horstmann
Gedenkstätte und Ort für Pilger: Der französische Nationalfriedhof an der Loretto-Höhe bildet mit seiner Kapelle und einem Leuchtturm ein Mahnmal von herausragender Bedeutung. Bei den Kämpfen um die Loretto-Höhe soll es 100 000 Tote gegeben haben.
Mehr als 30 000 Kriegstote finden auf dem deutschen Soldatenfriedhof Ysselsteyn in der niederländischen Provinz Limburg ihre letzte Ruhestätte. Kreuze, so weit das Auge reicht. Dass vor einem der Gräber Menschen aus zwei verschiedenen Ländern jeweils eine Flagge in den Boden gesteckt haben, ist mehr als eine Geste. Die hier zum Vorschein kommende deutsch-niederländische Verbundenheit zeigt, dass die Arbeit des Volksbundes in Ysselsteyn Früchte trägt. Um die jungen Menschen einzubinden, entstand in der Nähe des Friedhofes eine Jugendbegegnungsstätte - auf den Weg gebracht vom Landesverband NRW.
Und so durfte Ysselsteyn nicht fehlen, als der Volksbund Vertreter von einzelnen Ortsverbänden zu einer Informationsfahrt durch Belgien, Frankreich und die Niederlande einlud. Unter den Teilnehmern der Reise befanden sich auch Hannelore Brand und Klaus Schröder von der Realschule Bünde Nord. Seit vielen Jahren gehören Arbeitsgemeinschaften zum Thema Frieden zu den festen Angeboten an der Schule - was ganz praktische Konsequenzen hat: »So beteiligen sich unsere Schüler an den jährlichen Volksbund-Sammlungen«, erläutert Schröder, seit zwei Jahrzehnten Bünder Ortsvereins-Vorsitzender.
Über die Friedensarbeit, welche die Beschäftigung mit Krieg, Gewalt und Terrorismus beinhaltet, entstanden auch Kontakte nach Ysselsteyn. Überwältigt von dem Eindruck, den das endlose Gräbermeer auf die Schüler aus Bünde machte, verfassten sie im Jahre 1996 ein Gedicht - es enthält die Verse: »Jedes Kreuz ein Leben/das nicht gelebt werden durfte.«
Die Einbindung der Jugend ist Programm. Schulklassen, die zu Projektwochen in die Begegnungsstätte kommen, stellen sicher, dass die Idee der Versöhnung nicht mit den letzten Zeitzeugen ausstirbt. Peter Bülter von der Landesgeschäftsstelle NRW des Volksbundes macht die positiven Veränderungen in Ysselsteyn an einem Beispiel deutlich: »Früher gab es oft Schlägereien zwischen Deutschen und Niederländern. Heute kommen die Jugendlichen zum Fußballspielen, wenn sie sehen, dass ein neuer Bus aus Deutschland eingetroffen ist.«
Die auch für die Zukunft zu sichernde Verankerung in der Gesellschaft ist für die Arbeit des Volksbundes von elementarer Bedeutung. Während Partnerorganisationen in Frankreich oder den USA von staatlicher Seite finanziert werden, müssen in Deutschland 90 Prozent des Etats über Spenden erwirtschaftet werden.
Dabei unterhält der Verein 836 Kriegsgräberstätten in 44 Staaten. Auf 40 Millionen Euro beziffert Bülter die jährlichen Kosten - Tendenz steigend; Osteuropa sei hinzugekommen. Die Schaffung neuer Gedenkstätten bedeutet Ausgaben in Millionenhöhe.
Dennoch: Nach Jammern ist den Volksbund-Vertretern nicht zumute. Wolfgang Held, Kollege von Peter Bülter, weiß, dass es zu der Arbeit keine Alternative gibt, dass es unter anderem darum geht, die eigenen Aktivitäten ins richtige Licht zu rücken - weg von der Vorstellung, der Volksbund sei ein nationaler Helden-Gedenkverein.
Daher auch der Besuch von Soldatenfriedhöfen anderer Nationen. 40 000 Opfer des Ersten Weltkrieges liegen auf dem französischen Nationalfriedhof auf der Loretto-Höhe. Leuchtturm und Kapelle machen den Ort zu einem herausragenden Mahnmal. Unvorstellbar die Zahl, die sich aus lauter Einzelschicksalen zusammensetzt: 100 000 französische und deutsche Soldaten fanden beim Kampf um die Loretto-Höhe den Tod. Eine Inschrift am Leuchtturm richtet sich an alle Pilger (in Übersetzung): »Hört auf den Schrei, der emporsteigt: Völker, seid menschlich!«

Artikel vom 19.10.2005