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»Schlimmer als der Tsunami«

Nach Erdbeben in Kaschmir jetzt sogar bis zu 80 000 Tote befürchtet

Islamabad/Neu Delhi (dpa). Nach dem Erdbeben in Kaschmir sind möglicherweise noch weitaus mehr Menschen ums Leben gekommen, als bisher befürchtet.

Der Ministerpräsident von Jammu und Kaschmir, Sikander Hayat Khan, sprach von möglicherweise bis zu 80 000 Toten. Offiziellen Angaben zufolge sind mittlerweile allein im pakistanischen Teil mindestens 40 000 Opfer bestätigt, im indischen etwa 1600. Dabei sind abgelegene Gebiete noch immer unversorgt.
Die Hilfsaktionen wurden neun Tage nach der Katastrophe verstärkt. Helfer seien zu Fuß, mit Eseln und Maultieren unterwegs, um Verwundete aus schwer zugänglichen Gebieten in Sicherheit zu bringen. »Angesichts der Wetterverhältnisse benutzen wir jede nur denkbare Art von Transportmitteln«, sagte ein Militärsprecher in Pakistan.
Die deutsche Bundesregierung hat gestern ihre Hilfe für Pakistan auf fünf Millionen Euro aufgestockt. Mittlerweile sind auch 28 Helfer des Technischen Hilfswerks in den betroffenen Gebieten im Einsatz. Sie arbeiten vor allem an der Wiederherstellung der Wasserversorgung. Das Deutsche Rote Kreuz kümmert sich mit seinen Schwesterorganisationen um die medizinische Betreuung. Die Bundeswehr hat Ärzteteams entsandt sowie Medikamente, Betten, Zelte und Decken in das Einsatzgebiet nördlich der Hauptstadt Islamabad transportiert.
»Es ist die schlimmste Tragödie in unserer Geschichte«, betonte Ministerpräsident Khan. Die Stadt Muzaffarabad gleiche einem Friedhof. Weiterhin würden Wasser und Nahrungsmittel benötigt. Auch wachse die Sorge vor Seuchen wegen zerstörter Abwassersysteme und Trinkwasserquellen. Eine erste Zeltstadt ist in Balakot, 100 Kilometer nördlich von Islamabad, entstanden. Eine weitere soll in den nächsten Tagen in Rawalpini errichtet werden.
Unterdessen strömen immer mehr der Obdachlosen aus den ländlichen Regionen in der Hoffnung auf Hilfe in die größeren Orte. Die Krankenhäuser sind mit der Menge der verletzten Flüchtlinge überfordert. 65 000 Menschen in Pakistan müssen behandelt werden. In manchen Krankenlagern liegen geschwächte Menschen im Morast, weil der Regen das Erdreich aufgeweicht hat, berichten Helfer der Johanniter Unfall Hilfe. Viele der Menschen seien schwer traumatisiert. »Diejenigen, die das Erbeben überlebt haben, werden noch lange von ihren schrecklichen Erlebnissen verfolgt werden«, sagte der Psychiater Fareed Monhas aus dem Hospital in Rawalpini. Tausende Kinder seien zu Waisen geworden. Der Regionalchef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Hussain A Gezairy meinte, die Verwüstungen und Langzeitfolgen des Erdbebens seien schlimmer als die Zerstörungen bei der Tsunami-Katastrophe vom 26. Dezember 2004. Grund seien die hohe Zahl der Obdachlosen, die zerstörte Infrastruktur und das schwer zugängliche Gebiet.

Artikel vom 18.10.2005