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Stufig geföhnt, aber
nix hinter der Maske

»Politiker« von Uwe Bautz mit Erfolg uraufgeführt

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). »Ich habe keine Visionen, aber ich vertrete sie natürlich!« Wer segelt unter dieser Devise durchs Berufsleben? Richtig: der Politiker. Sehr zum Amüsement des Publikums der Uraufführung im TAMzwei lupft Uwe Bautz in seinem Stück »Politiker« die Maske, hinter der sich die Macht verbirgt.

Oder das sorgfältig durchkonzipierte Nichts. Bielefelds geschäftsführender Schauspieldramaturg durchforstete zahlreiche Interviews, die Soziologiestudenten der heimischen Hochschule mit Politikern geführt hatten, und fand, dass sich die dürftigen Auskünfte »erschreckend« ähnelten. Diagnose: bedingt theatertauglich. Also flossen auch Medientexte und eigene Reflexionen in Bautz' nachdenklich stimmende Arbeit ein, die unter seiner Regie am Sonntag im ehemalige TAMoben am Alten Markt uraufgeführt wurde.
Hier genießen fünf Schauspieler in Astronautenoveralls das dolce vita in der mit »Faktenlast Null« behafteten Schwerelosigkeit. Bühnenbildnerin Hildegard Altmeyer taucht für all die Barbarellas und Flash Gordons in der deutschen Parteienlandschaft die futuristisch bis esoterisch-sechseckige Spielfläche ins blaue Licht der Zukunftsseligkeit, drei, zwei, eins, zero, Wahlkampf!
Max Grashof gibt den Peter Lustig dieser Raketenreise durch die Ideologie, »klingt merkwürdig - is' aber so«. Politik, im TAMzwei betrachtet, ist doch schöner als Sex; hat man erst den Kunden an der Straßenecke angesprochen, geht's stracks ab in dessen von der Meinungsforschung ausgeleuchtetes Schlafzimmer. John Wesley Zielmann, neu im Bielefelder Ensemble und wie weiland Guido Westerwelle im Biene-Maja-Kostüm, macht Straßenwahlkampf für die Klein(geistig)en unter den Wählern, denn jeder verteilte Luftballon schafft Kreuzchen in die Urne. »Pinguin« Ines Buchmann rammt die Flagge aus Phrasenland in Wechselwählers Boden, und in Anlehnung an das berühmte (auch gestellte, gefälschte) Foto der siegreichen US-Soldiers beim Inselhopping Richtung Japan bringen ihre Mitspieler den Fahnenschaft in die Senkrechte. Macht ist geil!
Ulrike Müller (ebenfalls neu in Bielefeld) parodiert die Debatte um Äußerlichkeiten (»Ich bin stufiger zur Seite geföhnt als Sabine Christiansen!«), und Nicole Paul erdet den Polit-Sprech (»Ich muss mich selbst finden!«). Jede Geste ein Signal, jede Grimasse eine Menetekel, Platz da, jetzt wird gelächelt, bis der Wahlsieg kommt.
Und zum Schluss: Bob Dylan. »I shall be released«. Wo es heißt: Man sagt, alles ist ersetzbar.
Ersetzen Sie die nächste Polittalkshow doch durch einen Besuch im TAMzwei. Die nächsten Aufführungen von »Politiker«: 20./21. und 23. sowie 28. bis 30. Oktober, 11., 19./20. und 23. November.

Artikel vom 18.10.2005