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Otto Schily eröffnet die Sitzung

Neues Parlament beginnt Arbeit - Bundestagspräsident wird gewählt

Berlin (dpa). Auf seiner ersten Sitzung nach der Wahl bestimmt der 16. Deutsche Bundestag heute seine neue Parlamentsspitze. Bundestagspräsident soll der CDU-Politiker Norbert Lammert (56) werden. Ihm zur Seite stehen künftig sechs Stellvertreter und damit so viele wie nie seit 1949.

Der heutige Tag ist der letzte Termin für die Konstituierung des Bundestages in der vom Grundgesetz genannten Frist von 30 Tagen nach der Wahl. Mit dem Arbeitsbeginn des Parlaments endet die Amtszeit der alten Regierung. Bundespräsident Horst Köhler wird Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und sein Kabinett aber bitten, bis zur Wahl der Nachfolgeregierung geschäftsführend im Amt zu bleiben.
Der 73-jährige Sozialdemokrat und Innenminister Otto Schily (SPD) eröffnet um 11 Uhr als Alterspräsident die Sitzung und leitet sie bis zur Wahl des neuen Bundestagspräsidenten.
In allen Demokratien ist die Übernahme der ersten Sitzungsleitung durch den Ältesten in der Runde Brauch. Das Prozedere ist nirgendwo bis ins Einzelne festgelegt. Für den Bundestag gilt die ungeschriebene Regel, dass der Alterspräsident in seiner Ansprache die Tagespolitik beiseite lässt und sich langfristigen Problemen des Landes widmet.
Die Rolle des Alterspräsidenten übernahm Ex-Bundeskanzler Willy Brandt drei Mal (1983, 1987, 1990). Schily eröffnet heute zum zweiten Mal die Sitzung.
Der Bundestagspräsident wird traditionell von der stärksten Fraktion gestellt und bekleidet protokollarisch nach dem Bundespräsidenten das zweithöchste Amt im Staat. Neben Lammert soll aus Unionsreihen die CSU-Politikerin und Ex-Bauministerin Gerda Hasselfeldt Stellvertreterin werden.
Für die SPD stehen der bisherige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse sowie erneut Susanne Kastner als Vize-Präsidenten zur Wahl. Die FDP-Fraktion schlägt erneut Hermann Otto Solms für das Amt vor. Die Grünen haben ihre bisherige Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt nominiert und die Linkspartei ihren Chef Lothar Bisky.
Vor der Wahl der Stellvertreter muss die Geschäftsordnung verabschiedet werden. Nach jetzigem Stand schicken Union und SPD je zwei Vertreter in das Präsidium und stellen damit in dem Gremium die Mehrheit. Grüne und Linkspartei kritisierten die Erhöhung der Zahl der Bundestags-Vizepräsidenten von vier auf sechs. Göring-Eckardt sagte, die zusätzlichen Posten für Union und SPD seien »parteipolitisch motiviert«. Auch für Linkspartei-Fraktionschef Gregor Gysi geht es nur darum, dass die SPD mit der Union auf gleicher Augenhöhe stehen wolle.
Die konstituierende Sitzung dient vor allem der Selbstorganisation des Bundestags. Die bisherigen Kabinettsmitglieder werden nicht auf der Regierungsbank sitzen, sondern entweder als Abgeordnete im Plenum oder - sofern sie kein Mandat haben - auf der Besuchertribüne. Dort nehmen auch Bundespräsident Köhler und Bundesverfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier Platz.
Nach Artikel 69, Abs. II endet das Amt des Bundeskanzlers mit dem Zusammentritt des neuen Bundestags. Schröder und die übrigen Kabinettsmitglieder werden um 16.30 Uhr von Köhler ihre Entlassungsurkunden erhalten. Um eine »regierungsfreie« Phase zu vermeiden, wird der Bundespräsident Kanzler und Minister »ersuchen«, die Geschäfte bis zur Ernennung ihrer Nachfolger weiter zu führen. Bisher wurde der Bundeskanzler immer in der zweiten oder dritten Sitzung des neuen Bundestags gewählt.
Der 16. Deutsche Bundestag zählt 614 Mitglieder und damit 13 mehr als in der zurückliegenden Legislaturperiode. Auf die SPD entfallen 222 Sitze, auf die CDU 180 und die CSU 46 Sitze. Damit verfügt eine große Koalition über 448 Abgeordnete. Die FDP hat 61 Sitze, die Linkspartei 54 und die Grünen 51 Sitze.

Artikel vom 18.10.2005