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»Am Ende steht die CDU
anscheinend mit
nur noch vier
ÝrichtigenÜ
Ministern da.«

Leitartikel
Neuauflage Kohl/Strauß?

Stoibers schroffer
Affront


Von Reinhard Brockmann
Das geht ja gut los. Mühsam hat Angela Merkel ihren legitimen Anspruch auf das Kanzleramt gegen Gerhard Schröders machohafte »Die-kann-es-nicht«-Haltung durchgesetzt, da jubelt ihr ausgerechnet CSU-Chef Edmund Stoiber noch in letzter Minute den selbst in Bayern wegen seiner Alleingänge gefürchteten Horst Seehofer unter.
CDU und CSU sind ganz offenbar doch zwei Parteien. Das muss jetzt nicht nur Franz Müntefering, der demnächst neue Mann an Merkels Seite, denken. Dabei war es mühsam genug, diesen Stolperdraht aus dem Arsenal des Willy Brandt-Hauses durchzuknipsen.
Jetzt kommen noch die Durchstechereien von gestern Vormittag hinzu. Allein dieser Montagvormittag hat die künftige Regierungschefin schon geschwächt, bevor sie überhaupt gewählt ist. Denn, so hieß es: Stoiber habe sich in einer telefonischen Schaltkonferenz »verärgert« darüber gezeigt, dass Merkel lieber Michael Glos als Verteidigungsminister aus der CSU im Kabinett gehabt hätte als den Sozial- und Gesundheitsfachmann Seehofer, der nun urplötzlich Landwirtschafts- und Verbraucherfachmann sein soll.
Ein »ungenanntes CSU-Präsidiumsmitglied« berichtete kurz danach der deutschen Presseagentur (dpa) brühwarm, was hinter verschlossenen Türen so gelaufen ist. Allein dieser Vorgang wirft Fragen auf und gibt einen vagen Ausblick auf das, was uns an künftigen Unionsstreitereien noch alles ins Haus stehen könnte.
Immer wieder sonntags/Franz Josef Strauß versus Helmut Kohl: Feiert das ungute Muster aus den 70er und 80er Jahren fröhliche Urständ? Man fasst es nicht!
Wieso zeigte sich der offenbar unberechenbare Bayern-Chef gestern »überrascht«? Er wusste doch, dass Angela Merkel den Seehofer genauso wenig akzeptieren kann wie etwa einen Friedrich Merz. Wir dürfen sogar annehmen, dass Merkel und Stoiber über diese Frage in den vergangenen Tagen ausführlichst, aber eben nicht öffentlich gesprochen haben.
Vor allem aber: Wie wurde gestern unmittelbar vor der endgültigen Präsentation der Unionsminister überhaupt aus der CSU bekannt (gemacht), was die Führung intern beriet? Und: Wer hat die Interna »rausgelassen«, wie es so schön heißt? So groß ist das Präsidium nicht. War es womöglich bereits Seehofer selbst, oder hat ein anderer mit Wissen Stoibers geredet? Falls beides nicht zutrifft, bliebe die Möglichkeit, dass Michael Glos seiner Enttäuschung (erstmals) Luft gemacht hat. Die Antworten kennen wir nicht, wohl aber das Ergebnis all dieser Fragestellungen: verheerend für Angela Merkel.
Der bayerische Affront führt dazu, dass die CDU anscheinend mit nur noch vier »richtigen« Ministern dasteht, während die SPD acht (mit Seehofer neun...?) gestandene Sozialdemokraten vorzeigen kann, die in den kommenden ein bis vier Jahren den Eindruck vermitteln werden: Allein wir verhindern das Schlimmste.

Artikel vom 18.10.2005