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In der Welt von Erich Kästner

Volksbildungswerk startet mit Kulturfoyer in die neue Theatersaison


Von Felizitas Körner
Espelkamp (WB). Vielen Lesern ist er nur als der Autor vom »Doppelten Lottchen«, dem »fliegenden Klassenzimmer« oder von »Emil und die Detektive« bekannt. Doch beim Kulturfoyer unter dem Motto »Die Welt ist rund«, mit dem das Volksbildungswerk die neue Theatersaison eröffnete, stand »Erich Kästner für Erwachsene« im Mittelpunkt. Kabarettist Hans Georgi, musikalisch begleitet von Meinolf Bauschulte, wollte den Besuchern im Neuen Theater den »anderen« Kästner entdecken und vorstellen.
Mal singt Georgi die von ihm vertonten Texte melancholisch, mal klingt seine Stimme ironisch und satirisch. Mal lehnt er sich an Brecht'sche Vortragsweisen an und spricht seine Sätze fast an der Musik vorbei, mal erzählt er anekdotenhaft aus Kästners Leben:
1899 in Dresden geboren, wuchs der junge Erich in Armut auf. Das Kaiserreich, die zeitgenössische Einstellung und die schlechte familiäre Situation prägten ihn nachhaltig. Der Erste Weltkrieg, die Wirren der Weimarer Republik, die Weltwirtschaftskrise und schließlich der Nationalsozialismus spiegeln sich in seinen Stücken wider. Er ergriff gerne politisch - wie auch literarisch - Partei und hielt seine Meinung nicht zurück. Gerade durch die Seite, die nicht die populärste Kästners war - die Gedichte für Erwachsene - versucht Hans Georgi den Menschen Erich Kästner, nicht nur den Autor, besser kennen zu lernen und zu verstehen.
»Kästners Meinungen sind heute noch brandaktuell«, behauptet Georgi und versäumt es so auch nicht, Parallelen zu unserer heutigen Zeit zu ziehen: »Der synthetische Mensch« von Kästner - hat sich die Aussage dieses Gedichtes nicht viel überspitzter in unseren heutigen Genmanipulationsversuchen bewahrheitet?
Seine Gebrauchslyrik der 30er Jahre reflektiert den inneren und äußeren Zwiespalt des Menschen Kästners: Er kritisiert die Hoffnungslosigkeit, die Zukunftslosigkeit von Arbeiterkindern. »Wir sind Spielzeug, welches wächst, das ganze Leben ist verfahren, noch ehe es für uns begann.«
Die milieuhafte Darstellung einer Arbeiterfamilie, die Kritik an der Arbeitslosigkeit, den mangelnden Sozialleistungen, der teilweise rücksichtslose Reichtum der Industriellen, gehen sicherlich auf Kästners eigene Erfahrungen zurück. »Morgen Kinder, wird's nichts geben, nur wer hat, kriegt noch geschenkt«, heißt es zum Beispiel in Kästners »Weihnachtslied«, eine Anlehnung an die wohlhabendere, herablassende Verwandtschaft seiner Mutter.
Durch die überspitzte, teilweise groteske Wortwahl stellte Kästner, der sich für Demokratie und Frieden einsetzte, Thesen auf, welche so lange brandaktuell sind, bis die klaffenden Unterschiede zwischen Arm und Reich beseitigt sind. So ist der »Kästner für Erwachsene« sicherlich nicht nur für diejenigen interessant, die selbst in seiner Zeit gelebt haben, sondern auch heutzutage ist die messerscharfe Aussagekraft seiner Beobachtungen ungebrochen.

Artikel vom 18.10.2005