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Die beste Arminia des Jahres

Klassespiel und tolle Tore: Beim 3:0 gegen Hertha gewinnt ein Team mit Zukunft

Von Hans Peter Tipp
Bielefeld (WB). Hans-Hermann Schwick ist in Bielefeld normalerweise als moderater Mensch bekannt. Nach dem 3:0 (2:0) des Fußball-Bundesligisten Arminia Bielefeld gönnte sich der stille Präsident jedoch einen ungewohnten Anflug von Euphorie: »Wir haben das gezeigt, was uns letzte Saison stark gemacht hat. So können wir die Klasse erhalten.«

Mehr noch als die Treffer von Marcio Borges (14.) und Heiko Westermann (29.) jeweils nach Freistößen von David Kobylik sowie Sibusiso Zuma (51.) mit dem »längsten Tor des Tages«, das er nach einem Sololauf über 70 Meter erzielte, begeisterte den Vereinsboss das geschlossene Auftreten einer Bielefelder Mannschaft. Diese scheint sich nach nunmehr neun Spieltagen gefunden zu haben.
Und das hatte dreifache Folgen: Arminia bot nicht nur das beste Heimspiel der Saison, sondern des ganzen Jahres. Mit 3:0 gelang zudem der deutlichste Heimsieg seit 18 Monaten. Und es war der höchste der Vereinsgeschichte gegen Hertha BSC, immerhin mit Stars wie Marcelinho und Bastürk ein nicht nur selbst ernannter Champions League-Anwärter in dieser Spielzeit.
Es war auch der Erfolg der Idee, dass elf Aktive zusammen ein gemeinsames Spielziel verfolgen und eine kollektive Strategie umsetzen können. So besiegte Arminia die individuelle Klasse des Gegners -Ê und die eigene Vergangenheit: Erstmals seit der Amtsübernahme von Thomas von Heesen trat der DSC aus dem Schatten des Trainervorgängers heraus.
Vor gut 20 000 Zuschauern übertraf sich eine stark ersatzgeschwächte Arminia dabei selbst. Deshalb lohnt es sich, einen kurzen Moment darüber nachzudenken, dass gegen Berlin Stammkräfte wie Rüdiger Kauf, Petr Gabriel, Fatmir Vata, Nebosja Krupnikovic, Massimilian Porcello und Tobias Rau verletzt fehlten.
Oder vielleicht sollte man es doch lassen. Denn die, die am Samstag so leidenschaftlich und mitreißend den Sieg eroberten, haben es einfach nicht verdient, als Lückenbüßer angesehen zu werden. Die, die auf dem Platz standen, überzeugten: Sibusiso Zuma, zum zweiten Mal in der Rolle als zweite Spitze; Heiko Westermann und Marcio Borges als sensationell sichere Abwehrkräfte, die ihre Torpremiere in der höchsten deutschen Liga feierten; Matthias Hain, der seine wichtigsten Paraden zeigte, als das Spiel sogar noch hätte kippen können; Marco Küntzel, der auf der rechten Außenbahn fast ins Delirium lief; David Kobylik, der rechts wie links als Flanken- und Freistoßspezialist auffiel, oder Radim Kucera, der große Stratege im Mittelfeld, der das Geschehen so frühzeitig erahnte, dass er ohne Fouls auskam. »Das zeigt, welch ein Potenzial in dieser Mannschaft steckt«, betonte Sport-Geschäftsführer Reinhard Saftig.
Die Gäste trauerten nicht lange ihren vergebenen Chancen nach. Zwei Mal trafen sie die Latte, und früh köpfte Kovac aus fünf Metern freistehend neben das Tor. »Aber wir hätten heute noch Stunden spielen können und kein Tor geschossen«, gab Hertha-Trainer Falko Götz zu. Erwähnt sei dennoch, dass auch Isaac Boakye (3.) den Innenpfosten traf.
Nicht nur für den DSC-Präsidenten Schwick (»Das war die Fortsetzung von Leverkusen«), auch für den Trainer zeichnet sich nunmehr eine Entwicklung ab, die eine gewisse Zeit gebraucht habe: »Man kann nicht erwarten, dass das schneller geht, wenn drei, vier Spieler von der Hierarchie fehlen. Das braucht drei oder vier Monate.« Generell, sagte der Trainer, werde ihm zu viel schwarz und weiß gemalt. Gott sei Dank war die Arminia-Welt an diesem Samstag aber ziemlich farbig.

Artikel vom 17.10.2005